Ulrich Matthias

 Esperanto - eine Chance für Europa

Wie wir Sprachbarrieren abbauen, uns gleichberechtigt verständigen
und die kulturelle Vielfalt bewahren können


Vorbemerkung

Dies ist der Entwurf des ersten Teils eines Buches, das ursprünglich im Jahr 2002 oder 2003 erscheinen sollte. Die Fertigstellung hatte sich vor allem aus familiären und beruflichen Gründen verzögert. Geplant war, noch jeweils ein Kapitel mit Argumenten für und gegen Esperanto zu ergänzen. Einige der Gedanken, die dort vorgestellt werden sollten, finden sich jedoch bereits in Kapitel 6 des Buches "Esperanto - das neue Latein der Kirche" (Meßkirch 1999, ISBN 3-926633-39-5, 126 Seiten, EUR 9,90) sowie insbesondere in dessen in 2001 bzw. 2002 erschienenen Versionen auf Esperanto und Englisch, die u.a. um die Kapitel "Das Sprachenproblem in der EU" sowie "Esperanto und die kulturelle Vielfalt" erweitert wurden.

Auch der Artikel "Der Euro - eine Erfindung der Esperanto-Bewegung?" sollte in das Buch integriert werden. Außerdem waren Informationen über den Verein "Europa-Demokratie-Esperanto" vorgesehen, der zwischenzeitlich auch in Deutschland bei der Europawahl 2009 kandidiert hat.

Inzwischen engagiere ich mich wieder eher für Esperanto als "Chance für die ganze Welt" - und für die Eine-Welt-Partei, die sich u.a. mittels Esperanto für eine gute und gleichberechtigte Verständigung, aber auch für globales Denken, die Beseitigung des Abgrunds zwischen Arm und Reich, Umweltschutz, Frieden, Menschenrechte und Demokratie einsetzt. Themen wie "Weltethos", "interkultureller Humanismus", "UN-Parlament" und "ökosoziale Marktwirtschaft" verdienen heute meiner Meinung nach nicht weniger Beachtung als der europäische Gedanke. Es ist daher ungewiss, ob dieses Buch jemals in gedruckter Form erscheinen wird - in Planung ist jetzt eher ein Buch, das sich ganz allgemein dem Thema "Esperanto in der Politik" widmet.

Wiesbaden, den 14. November 2004 / 18. März 2010

Bereits etwas umfangreicher als diese html-Version ist die rtf-Datei unter http://www.u-matthias.de/chance/chance_r.rtf

Ulrich Matthias


Allgemeine Info über Esperanto (www.esperanto.de)

Zum Kurs "Esperanto als Ratespaß"


Inhalt

Einleitung

1. Das Sprachenproblem in Europa

1.1 Die Sprachenpolitik der Europäischen Union
1.2 Sprachbarrieren

2. Auswege

2.1 Englisch
2.2 Vielsprachigkeit
2.3 Sonstige Lösungen

3. Esperanto und andere Plansprachen

3.1 Die Entstehung des Esperanto
3.2 Weitere Plansprachenprojekte
3.2 Geschichte und Ziele des Esperanto
3.3 Die Anwendung des Esperanto

4. Argumente

4.1 Die Vorzüge des Esperanto
4.2 Tiefere Gedanken
4.3 Esperanto und die Sprachenvielfalt
4.4 Esperanto als Kultursprache
4.5 Einwände und Antworten
4.6 Ein Blick nach Asien

5. Perspektiven


Einleitung

Die Europäische Union ist ein freiwilliger Zusammenschluss gleichberechtigter Staaten. Es entspricht dem "europäischen Gedanken", den Grundsatz der Gleichberechtigung auch auf sprachlicher Ebene zu verwirklichen. Gleichzeitig besteht jedoch ein starkes Bedürfnis nach einer einheitlichen europäischen Verkehrssprache.

Dieser auf den ersten Blick unversöhnliche Gegensatz zwischen dem Streben nach Gleichberechtigung auf der einen sowie nach Verständigung zwischen allen EU-Bürgern auf der anderen Seite mag erklären, warum die Sprachenpolitik zu den weniger populären Themen in der EU gehört.

Dieses Buch zeigt auf, dass es einen Ausweg aus diesem Problem gibt. Mit einer neutralen, leicht erlernbaren Zweitsprache kommen sich bereits heute zahlreiche Bürger Europas auf dem kürzesten Weg entgegen. Sie haben Esperanto gelernt, weil sie Interesse an internationalen Kontakten haben und den Gedanken der Völkerverständigung befürworten.

Sie haben eine Lösung gefunden, die nicht nur die Gleichberechtigung der nationalen Sprachen und Kulturen respektiert, sondern zugleich auch eine wesentliche Verbesserung der Verständigung herbeiführen kann.

Denn nach wie vor gibt es Sprachbarrieren in Europa, sowohl zwischen gewöhnlichen Bürgern, die sich nicht oder aber nur in gebrochenem Englisch verständigen können, als auch zwischen gebildeten, eventuell sogar polyglotten Europäern, die sich trotz umfangreicher Fremdsprachenkenntnisse nur in ihrer Muttersprache wirklich tief und problemlos unterhalten können.

Ein Artikel aus der "Zeit" 25/1999 zeigt, wie wichtig Umfang und Qualität der Sprachkenntnisse sind:

Weil kaum jemand Englisch wirklich beherrscht, redet die EU-Kommission oft nur über die technischen Ebenen der Probleme; da gehen kulturelle und historische Facetten leicht unter. Diese Verflachung der Sprache ist für das Denken selbst eine Gefahr. Kompliziertere Gedanken werden erst gar nicht gedacht, weil man sie ohnehin nicht aussprechen kann. Esperanto wurde gezielt dazu entwickelt, um die internationale Begegnung und Verständigung zu erleichtern. Es basiert auf einer einfachen Grundgrammatik ohne Ausnahmen und lässt seinen Sprechern viel Spielraum für den kreativen Umgang mit der Sprache. Ein System von Vor- und Nachsilben ermöglicht es, verwandte Wörter ganz regelmäßig voneinander abzuleiten und so mit recht wenigen Vokabeln eine hohe Ausdrucksfähigkeit zu erreichen. Es ist daher leichter, Esperanto "wirklich zu beherrschen" als irgendeine andere Fremdsprache.

Obwohl Esperanto bislang nur sehr wenig Unterstützung von Regierungen und internationalen Organisationen erhalten hat, ist es im Laufe seiner über hundertjährigen Geschichte zu einer lebendigen Kultursprache geworden. Für viele Menschen ist es ein Vergnügen, Esperanto zu lernen. Sie machen dabei wesentlich schnellere Fortschritte als beim Lernen anderer Fremdsprachen. Per Briefkontakt oder E-Mail, insbesondere aber auf Auslandsreisen und beim Besuch internationaler Esperanto-Treffen finden sie nette, freundschaftliche Kontakte zu Menschen aus ganz Europa, oft auch aus anderen Erdteilen. Für einige wird die "Esperanto-Welt" zu einem neuen Zuhause, zu einer Heimat. Esperanto ist für sie keine fremde Sprache mehr, sondern - wie ihre Muttersprache - ein Teil ihrer Identität.

Bereits der praktische Wert sichert dem Esperanto seinen Fortbestand. Esperanto bereichert das Leben vieler Menschen. Doch es stellt auch eine großartige Chance dar, bei Wahrung der kulturellen Vielfalt die Verständigung in Europa entscheidend zu verbessern.


1. Das Sprachenproblem in Europa

1.1 Die Sprachenpolitik der Europäischen Union

"Ausgehend von ihrem kulturellen, humanistischen und religiösen Erbe gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Grundsätze der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität." So heißt es in der Präambel zur "Charta der Europäischen Grundrechte" vom Dezember 2000.

Nach dieser Charta scheint es, als solle der Grundsatz der Gleichheit auch in der Sprachenpolitik verwirklicht werden. "Die Union achtet die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen.", lesen wir in Artikel 22, und weiter heißt es in Artikel 41 Ziffer 4: "Jede Person kann sich in einer der Sprachen der Verträge an die Organe der Union wenden und muss eine Antwort in derselben Sprache erhalten."

Diese Charta bestätigt Prinzipien, nach denen die Europäische Union bzw. ihre Vorgänger bereits von Anfang an strebten. Nachdem 1957 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gegründet wurde, entschied der Ministerrat der Gemeinschaft mit einer Verordnung vom 15. April 1958: "Die Amtssprachen und die Arbeitssprachen der Organe sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Niederländisch." Mit den Beitritten weiterer Länder wurde diese Verordnung immer wieder aktualisiert, so dass sich die Zahl der Amts- und Arbeitssprachen der EU im Jahr 1995 mit dem Beitritt Finnlands und Schwedens auf 11 erhöhte. (Mit dem Amsterdamer Vertrag vom 02.10.1997 wurden Finnisch und Schwedisch endgültig zu "Sprachen der Verträge", von denen die Charta spricht.)

Heute wird viel über die Erweiterung der EU diskutiert. Gelegentlich äußern sich Politiker auch dazu, welche Konsequenzen diese Erweiterung für die Sprachenregelung in der EU haben wird. Dabei wird es gewöhnlich als selbstverständlich erachtet, dass die Amtssprachen der Beitrittsstaaten auch Amtssprachen der EU werden.

Ingo Friedrich, Vizepräsident des Europäischen Parlaments, schrieb in einem Gastkommentar in der "Welt" vom 15.03.2001:

Die eigene Sprache ist unmittelbarer Ausdruck der eigenen Identität und lässt sich nicht ökonomischen Erwägungen unterordnen. Daher erscheint es wenig realistisch, im schriftlichen Bereich vom bisherigen System, demzufolge jedes EU-Dokument in alle Sprachen übersetzt wird, abzurücken. Das wird auch in einer EU mit 27 Mitgliedern so bleiben. Er fügt allerdings hinzu, dass im mündlichen Bereich "gangbare praktische Reformen" denkbar sind, da es bereits in einer EU mit 11 Amtssprachen sehr aufwendig ist, z. B. die Redebeiträge im Europäischen Parlament simultan in jede dieser Sprachen zu übersetzen.

Ähnlich wie Ingo Friedrich äußerte sich auch EU-Kommissar Michel Barnier am 05.06.2000 in einem Internet-Chat mit Bürgern der EU:

Frage: How do you think the language issue should be organised in a Union of up to 30 members? Would it be possible to reduce the number (working languages)? What is your view?

Barnier: The principle of language equality in the Union is very important, even after enlargement. This is about Europe's cultural diversity. As for the practical organisation, we will find a way of solving it.

Doch bereits heute wird das Prinzip der sprachlichen Gleichberechtigung in der EU sehr häufig verletzt. Es gibt viele Beispiele hierfür, vielleicht ebenso viele wie dafür, dass sich die EU tatsächlich in der Praxis um die Gleichberechtigung der Amtssprachen bemüht. Ein Blick auf die Internet-Seiten des Europäischen Parlaments genügt: Während die Eingangsseite unter http://www.europarl.eu.int/ noch 11-sprachig ist, erreicht man von dort eine Fülle von Seiten mit Informationen oder Dokumenten, die dort nur in Englisch oder in Englisch, Französisch und evtl. noch einigen weiteren Sprachen zugänglich sind. Selbst Seiten wie http://www.europarl.eu.int/language/apprendrede_de.htm, mit denen das Europäische Parlament die Bürger zum Lernen möglichst vieler Amtssprachen der EU ermutigen möchte, sind neben der jeweiligen Zielsprache nur auf Englisch und Französisch im Netz. Gerade hier hätte die EU ein Zeichen für das Lernen der Sprache des Nachbarn setzen können, indem sie z.B. auch in deutscher Sprache für das Lernen des Dänischen, Niederländischen und Französischen wirbt.

Auch wenn es um die Vergabe von Aufträgen, Subventionen, EU-Stipendien, EU-Forschungspreise usw. geht, so erfolgen die Ausschreibungen im seltensten Fall in allen Amtssprachen der EU gleichzeitig. Unterlagen in Deutsch, Spanisch, Italienisch und den "kleineren" Amtssprachen sind - wenn überhaupt - oft nur mit zeitlicher Verzögerung eeerrhältlich. Zudem muss den Anträgen oft ausdrücklich eine Zusammenfassung in englischer Sprache beigelegt werden, und es wird den Bewerbern auf vielfältige Art nahegelegt, den kompletten Antrag in Englisch zu verfassen. "Die Arbeitssprache der Jury ist Englisch", heißt es beim Europäischen Wettbewerb für junge Wissenschaftler, und auf einer Informationsveranstaltung über EU-Forschungstipendien im Oktober 1995 in Wiesbaden wurde den Teilnehmern gesagt: "Theoretisch dürfen Sie Ihre Anträge in einer beliebigen Amtssprache der EU schreiben. Aber wir bitten Sie nachdrücklich, das auf Englisch zu tun. Denn sonst müsste alles übersetzt werden, doch wir hätten gar nicht die Kapazitäten dafür."

In Stellenanzeigen der EU wird meist die Beherrschung des Englischen und des Französischen verlangt. Erwähnenswert ist auch die Sprachenregelung bei informellen Sitzungen des Rates der Europäischen Union, wo zwar jeder Teilnehmer seinen Beitrag in seiner Muttersprache abgeben kann, eine Übersetzung aber nur in drei oder vier Sprachen - darunter stets Englisch und Französisch - erfolgt. (Dies führte im Juli 1999 zum "EU-Sprachenstreit": Zu Beginn der finnischen Ratspräsidentschaft wurde keine Übersetzung mehr ins Deutsche angeboten, woraufhin die Vertreter Deutschlands und Österreichs die Sitzung boykottierten.)

Dass die EU - in krassem Gegensatz zu den Aussagen von Ingo Friedrich - in der Praxis doch dazu neigt, die Sprachhhee ökonomischen Erwägungen unterzuordnen, zeigt sich auch sehr deutlich in einem Vorschlag der Europäischen Kommission zur Schaffung eines Gemeinschaftspatents vom 01.08.2000:

Die Übersetzungsregelung ist ein besonders wichtiger Kostenfaktor beim Gemeinschaftspatent [...]. Die Kosten für die Übersetzung eines Patents in alle Amtssprachen der Gemeinschaft wären eine zu starke Belastung für die Erfinder, vor allem für kleine und mittlere Unternehmen, eine solche Anforderung könnte das gesamte Projekt Gemeinschaftspatent zum Scheitern verurteilen. Sie würden von der Anmeldung eines Gemeinschaftspatents abschrecken und die Erfinder veranlassen, lediglich in bestimmten europäischen Ländern Patentschutz zu beantragen. Mit der Erweiterung der Union würde sich eine obligatorische Übersetzung in alle Amtssprachen noch nachteiliger auf die Kosten auswirken.

Um diesem Problem abzuhelfen, ist in der Verordnung Folgendes vorgesehen: Wurde das Gemeinschaftspatent in einer der Verfahrenssprachen des Amtes erteilt und in dieser Sprache veröffentlicht und sind die Patentansprüche in die beiden anderen Verfahrenssprachen übersetzt, so ist das Patent ohne weitere Übersetzung gültig.

[...] Das vorgeschlagene System wird vor allem deshalb für geeignet erachtet, weil gegenwärtig die Weltpatentsprache de facto Englisch ist.

In der europäischen Sprachenpolitik macht sich also ein bedeutender Widerspruch zwischen Theorie und Praxis bemerkbar. Eines der seltenen Beispiele, wo dieser Widerspruch nicht nur erkannt, sondern auch zum Ausdruck gebracht wurde, ist die Ankündigung einer Tagung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften: Die internationale sprachenpolitische Entwicklung zeigt im letzten Jahrzehnt verstärkte Tendenzen in Richtung einer sprachlichen Hegemonisierung (Englisch als lingua franca für viele Bereiche, zudem als fast ausschließliche Wissenschaftssprache, Wirtschaftssprache etc.). Dem setzt die europäische Sprachenpolitik in Absichtserklärungen ein sprachpluralistisches Modell entgegen (zuletzt in den Verträgen von Maastricht und Amsterdam bekräftigt). Es existiert jedoch ein deutlicher Widerspruch zwischen Absichtserklärungen und sprachenpolitischer Praxis, die auch auf europäischer Ebene von Hegemonisierungstendenzen geprägt ist. Zudem werden Stimmen immer lauter, die für eine einheitliche interne Arbeitssprache Englisch in der EU plädieren, Eurobarometer-Umfragen ergeben angeblich eine relativ hohe Akzeptanz eines derartigen Modells. Die bevorstehende Osterweiterung wiederum führt zu EU-internen Überlegungen bezüglich neuer Modelle des Dolmetsch- und Übersetzungsdienstes.

Die Widersprüchlichkeit europäischer Sprachenpolitik ist im öffentlichen Diskurs allerdings tabuisiert.

Es bleibt zu hoffen, dass diese "Widersprüchlichkeit" enttabuisiert und in die Diskussionen zu ihrer Beseitigung auch die internationalen Sprache Esperanto einbezogen wird.


1.2 Sprachbarrieren

Es gibt nach wie vor ein bedeutendes Sprachenproblem in Europa. Nach verschiedenen Schätzungen können sich nur etwa 5-7 % der Deutschen "im Englischen gut ausdrücken". Eine der wenigen Untersuchungen, in denen die Englisch-Kenntnisse der EU-Bürger tatsächlich getestet wurden, stammt aus dem Jahr 1989. Im Auftrag einer internationalen Werbeagentur wurden EU-Bürger gebeten, sich drei englische Sätze auf einer Tonbandkassette anzuhören und sie in ihre Muttersprache zu übersetzen. Nur ca. 6 % der Befragten waren dazu in der Lage. Die Schlussfolgerung aus dieser Untersuchung lautete: "Das wirklich korrekte Verständnis des Englischen [...] lag deutlich unter unseren pessimistischsten Erwartungen."

Bei Umfragen, die nur sehr oberflächlich nach Sprachkenntnissen fragten, ergab sich stets ein positiveres Bild. Die EU-Kommission veröffentlichte in einer Pressemitteilung vom 20.02.2001 das "überraschende" Ergebnis, dass nach einer Umfrage vom Dezember 2000 unter 16.000 EU-Bürgern mehr als die Hälfte der Befragten (53 %) "eine zweite Sprache kennt". Dass dieses Ergebnis nicht unbedingt zufriedenstellend ist, zeigt ein Artikel, mit dem die Deutsche Presse Agentur dpa am selben Tag über die Umfrage berichtete:

                    Fremdsprachenkenntnisse mangelhaft
                    Die Hälfte der EU-Bürger beherrscht keine Fremdsprache

Lund (dpa) - Knapp die Hälfte aller Bürger in den EU-Ländern beherrscht keine Fremdsprache. Wie die für Bildung und Kultur zuständige EU-Kommissarin Viviane Reding am Montag bei der Eröffnung des "Europäischen Jahres der Sprachen" in der schwedischen Stadt Lund mitteilte, ergab eine neue Erhebung mit 16 000 Befragten in allen 15 EU-Ländern, dass 47,3 Prozent ausschließlich ihre Muttersprache sprechen. Auch zwischen den Abgeordneten des Europäischen Parlaments bestehen Sprachbarrieren. Während für die offiziellen Redebeiträge Dolmetscher zur Verfügung stehen, sieht es mit den privaten Kontakten manchmal schlecht aus: Viele Abgeordnete schauen sich in die Augen, ahnen, dass sie sich politisch nahe stehen und womöglich nächtelang leidenschaftliche Grundsatzdebatten führen würden - wenn sie nur könnten! Karin Jöns von der PSE, die neben Englisch und Französisch noch Schwedisch, Russisch und Spanisch spricht: "In der Fraktion saß ich neben einer Italienerin, mit der habe ich in fünf Jahren kein einziges Wort gewechselt!" Besonders hoch sind die Sprachbarrieren zwischen Deutschen und Polen. Sie werden allerdings nicht immer als Problem betrachtet. Der Informationsdienst KABI des Bundesjugendministeriums berichtete am 18.03.1992 mit den folgenden Worten über die "Ausländerarbeit in Schwedt/Oder": Kontakte nach Polen ins benachbarte Choina sind geknüpft. [...] Dass die Polen nicht deutsch und die Deutschen kein Polnisch sprechen, ist noch das geringste Problem. Torsten: "Wir sind da einfach hin und haben uns mit Händen und Füßen verständigt." Gelegentlich drücken Deutsche dennoch ihr Bedauern über die Sprachgrenzen aus. Als erstes Beispiel sei ein Auszug aus einem Interview der Diözesanzeitschrift "Tag des Herrn" 14/97 mit dem Leiter des Seelsorgeamts Görlitz, Alfred Hoffmann, zitiert: Frage: Seit der Bistumsgründung wird immer wieder auf die Brückenfunktion zwischen deutschen und polnischen Katholiken hingewiesen, die Görlitz übernehmen soll. Bisher haben aber die wenigsten Gemeinden lebendige Kontakte nach Polen. Sehen Sie eine Chance, das zu verändern?

Hoffmann: Das Haupthindernis sehe ich in der Sprachbarriere, nicht etwa in gegenseitigen Vorbehalten. Ich habe unsere polnischen Nachbarn im Herzen, sehe aber immer auch dieses Problem, das einen wirklichen Austausch erschwert.

Vom 28.12.1999 bis 01.01.2000 fand in Warschau das Europäische Jugendtreffen der Taizé-Communauté mit über 50.000 Teilnehmern statt. Von etwa 50 kurzen Berichte deutscher Teilnehmer, die die Communauté anschließend in Form einer Broschüre veröffentlichte, erwähnen zehn auch die Verständigungsprobleme. Z.B. schreibt dort ein "Gregor aus Frankfurt/Main": Ich war besonders auf den Austausch mit Menschen und Völkern aus Mittel- und Osteuropa gespannt. Beim Treffen stellte ich fest, dass es noch immer Sprachbarrieren gibt. So müssen die Völker slawischer Sprachen oft unter sich bleiben. Kaum ein Westeuropäer spricht eine slawische Sprache. Die wenigen polnischen oder russischen Vokabeln reichen nicht für ein wirkliches Gespräch mit den anderen oder auch mit den Gastfamilien. In dem Bereich der Wirtschaft und der Wissenschaft beschränkt man sich oft darauf, in internationalen Kontakten ausschließlich Englisch zu verwenden. Dies scheint gewöhnlich die praktikabelste Lösung zu sein, so dass die Nachteile und Kosten, die durch die Verwendung der Fremdsprache entstehen, meist als unvermeidbar hingenommen und nicht näher untersucht werden.

Für die Wirtschaft fangen die Probleme bei der Suche nach Mitarbeitern an. Personen, die nicht nur die erforderliche fachliche Kompetenz aufweisen sondern auch die englische Sprache ähnlich gut beherrschen wie ihre Muttersprache, sind oft nicht zu finden. Wenn Mitarbeiter englischsprachige Unterlagen durcharbeiten oder Briefe, Telefaxe und E-Mails auf Englisch schreiben müssen, führt dies oft zu einem erhöhten Zeitaufwand. Um Schriftstücke in gutem Englisch zu produzieren, müssen meist interne oder externe Übersetzer eingeschaltet werden, was zu zeitlichen Verzögerungen und einem erhöhten Kostenaufwand führt. In Kontakten und Verhandlungen mit ausländischen Geschäftspartnern kann gelegentlich nicht der fachlich kompetenteste Mitarbeiter eingesetzt werden, da evtl. dessen Englisch-Kenntnisse Mängel aufweisen.

Im Bereich der Wissenschaften führt die Verwendung der englischen Sprache oft zu einer Benachteiligung von Wissenschaftlern aus Osteuropa, Asien oder Afrika, deren Englisch meist schwerer verständlich ist als dasjenige eines Holländers oder Schweden, so dass z.B. ihre Vorträge auf wissenschaftlichen Konferenzen weniger Zuhörer anziehen. Nicht zu vergessen ist auch der enorme Lernaufwand, der erforderlich ist, damit sich Menschen mit nicht-indoeuropäischer Muttersprache überhaupt erst einmal einigermaßen auf Englisch verständigen können.

Es ist denkbar, dass durch sprachliche Probleme auch das Leben von Menschen gefährdet werden kann. Im "Spiegel" vom 19.06.2000 findet sich ein längerer Bericht über Probleme vor allem türkischer Gastarbeiter, der mit den folgenden Worten eingeleitet wird:

Verständigungsprobleme zwischen ausländischen Patienten und deutschen Ärzten führen oft zu Fehldiagnosen und teuren Therapien. Experten fordern jetzt Dolmetscher in den Praxen. Und in einem Artikel aus dem Südkurier vom 12.11.1999 heißt es: "Von den 37 großen Flugzeugkatastrophen seit 1996 seien mindestens 13 durch Sprachprobleme verursacht worden."


2. Auswege

2.1 Englisch

"Die Weltsprache Englisch wird im Zuge der allgemeinen Globalisierung immer stärker in den Vordergrund treten. Auf allen Ebenen der Europäischen Union und in der gesamten Welt wird in absehbarer Zeit immer mehr englisch kommuniziert werden." Mit diesen Worten wirbt ein auf die englische Sprache spezialisierter Übersetzungsservice für seine Dienste.

Die meisten Menschen stimmen heute dieser These zu - wenngleich die Europäische Union niemals in irgendwelchen Dokumenten offen die Absicht bekundet hat, mehr und mehr in englischer Sprache zu kommunizieren. Als Argument wird fast ausschließlich auf die bereits vorhandene Vormachtstellung des Englischen und das starke Bedürfnis nach einer einheitlichen Verkehrssprache verwiesen. Andere Argumente, etwa die - anfänglich - recht einfache Grammatik des Englischen, spielen hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Jean Aitchison, Dozentin für Sprache und Kommunikation in Oxford, äußerte Anfang 2001 auf einer Konferenz über die Zukunft des Englischen sogar Folgendes:

Diese Sprache hat nichts, was sie als Weltsprache prädestiniert oder besonders nützlich macht – außer dem politischen und wirtschaftlichen Einfluss der Vereinigten Staaten. Die Europäische Union wirbt im Internet für das Lernen ihrer Amtssprachen. In dem Text über das Englische wird auf die Vorherrschaft der US-amerikanischen Massenkultur verwiesen, ungeachtet der Frage, ob diese Hegemonie im Sinne der EU ist: In the year 2000, it may appear superfluous to have to introduce the English language ... The triumph of free-market ideology, the weight of US mass-cultural hegemony, and the dictates of information technology combine to make learning English a practical necessity for millions. Der Text weist ferner auf eine gewisse Neutralitität des Englischen hin, ohne jedoch unmittelbar auf die Frage einzugehen, inwiefern Englisch auch zur Beilegung sprachlicher Konflikte in der EU beitragen kann: Meanwhile, in India, Sri Lanka and many African countries, English in its second-language role plays a crucial part in maintaining national cohesion: perceived as neutral between rival indigenous languages, it acts as a counterweight to separatist forces. Mahatma Gandhi hatte Englisch als Werkzeug des Imperialismus zur Versklavung der Völker betrachtet. Auch heute noch gibt es in der Dritten Welt Schriftsteller, die Englisch als kulturelle Bombe ansehen, die über kurz oder lang die Eigenheiten einer Landessprache vernichten und die Entfremdung von der eigenen Kultur herbeiführen werde. "Englisch hörte schon vor einiger Zeit auf, das Eigentum der Engländer zu sein", betont hingegen der 1947 in Bombay geborene anglo-indische Dichter Salman Rushdie. Ein nigerianischer Schriftsteller, Chinua Achebe, hält ein "neues Englisch" für ein geeignetes Medium, um die Gedanken afrikanischer Schriftsteller auszudrücken: Der Preis, den eine Weltsprache zahlen muss, ist Unterwerfung unter vielerlei Arten des Gebrauchs. Der afrikanische Schriftsteller sollte versuchen, Englisch in einer Weise zu benutzen, die seine Botschaft am besten ausdrückt ohne die Sprache so stark zu verändern, dass sie ihren Wert als Mittel internationalen Austausches verliert. Er sollte versuchen, ein Englisch zurecht zu schneidern, das gleichzeitig universell ist und seine spezielle Erfahrung ausdrücken kann. [...] Ich denke, Englisch wird fähig sein, das Gewicht meiner afrikanischen Erfahrung zu tragen. Es muss aber ein neues Englisch sein, das immer noch in voller Gemeinschaft mit dem Heim seiner Vorfahren steht, aber so verändert ist, dass es seiner neuen afrikanischen Umgebung angepasst ist. Schon heute wird jedoch der Wert des Englischen als Mittel des internationalen Austausches ein wenig dadurch gemindert, dass es - vor allem in der gesprochenen Sprache - verschiedene Varianten des Englischen gibt. Sprachwissenschaftler unterscheiden bereits zwischen dem "Standard American-British English" (SABE), den "Oral and Vernacular Englishes" (OVE) - Mischungen aus SABE, Werbeslogans und den jeweiligen Muttersprachen, und dem "International Colloquial English" (ICE) - einer sich sehr schnell wandelnden Mixtur aus SABE, OVE und neuen Wortschöpfungen.


2.2 Vielsprachigkeit

Anlässlich des "Europäischen Jahres der Sprachen" 2001 wiesen viele Politiker und andere Persönlichkeiten auf die Wichtigkeit hin, die Sprachenvielfalt in Europa zu wahren. Bei der Eröffnung des Sprachenjahres betonte Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn am 06.02.2001 in Berlin, dass die Beherrschung von mindestens zwei Fremdsprachen künftig für alle Schüler in Europa zum Pflichtprogramm gehöre.

Der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz Durner, wandte sich ausdrücklich gegen eine einseitige Unterstützung der englischen Sprache. Im "Europäischen Jahr der Sprachen" müsse endlich der Handlungsbedarf für eine Neuorientierung der Sprachenpolitik erkannt werden. Dabei müsse "Vielfalt statt Einfalt" zum Motto der bisher einseitig vom Englischen dominierten europäischen Sprachenpolitik werden, betonte Durner.

Auch die EU-Kommissarin für Bildung, Viviane Reding, die sich als Initiatorin des Sprachenjahres bezeichnet, sprach sich gegen die Bevorzugung einer Sprache gegenüber einer anderen aus:

Ziel des Europäischen Jahres der Sprachen ist es vor allem, die Bürger Europas zu ermutigen, ihre Sprachkenntnisse auszubauen und sich mit dem sprachlichen Erbe Europas vertraut zu machen. Dabei soll keine Sprache gegenüber einer anderen bevorzugt werden. Im Mittelpunkt des Europäischen Jahres der Sprachen werden daher nicht nur die Amtssprachen der Gemeinschaft sowie das Irische und das Luxemburgische stehen, sondern auch diejenigen Sprachen, die die Mitgliedstaaten zur Umsetzung des Beschlusses über das Europäische Jahr der Sprachen benannt haben. Eine Meldung des Westdeutschen Rundfunks war sogar von einer Bevorzugung der "kleinen" Sprachen die Rede: Das Europäische Jahr der Sprachen 2001 wird gemeinsam von der Europäischen Union und vom Europarat veranstaltet; das Interesse soll auf "kleine" Sprachen gelenkt werden, die sich unter dem Ansturm der großen Weltsprachen kaum noch Gehör verschaffen können. Ernüchternd war hingegen ein Blick in die Veranstaltungskalender zum "Jahr der Sprachen". Z.B. fanden sich in einem Kalender des Nordrhein-Westfälischen Kultusministeriums 257 Einträge zum Thema "Englisch". Hingegen wurden dort die finnische und die schwedische Sprache nicht einmal bei einer einzigen Veranstaltung explizit erwähnt. Dasselbe gilt für das Dänische. In dem Kalender gab es zwar auch ein Eintrag "Bewerbung um einen Praktikumsplatz in Dänemark/Leben in einer dänischen Gastfamilie"; unter "Sprache" fand sich dort jedoch nur die Angabe "Englisch".

Dieses Ergebnis dürfte mit einer Beobachtung des Germanisten Thomas Fritz zusammenhängen, der in der Online-Zeitung der Uni Wien seine "Gedanken zum Europäischen Jahr der Sprachen" veröffentlichte:

Im Schulbereich gilt, dass Sprachenlernen vor allem Englischlernen bedeutet: Der Sprachwissenschafter Rudolf De Cillia erläutert in einer Publikation des Jahres 1998, dass 75,2 % der österreichischen SchülerInnen Englisch lernen, 8 % Französisch, 1,9 % Italienisch, die anderen Sprachen sind statistisch nicht erfasst. Es gibt also beim Sprachenlernen keine sprachliche Vielfalt, sondern eher eine Multiplikation der Englischkenntnisse. Wenngleich in Deutschland der Französisch-Unterricht stärker verbreitet ist als in Österreich, so spielen auch an deutschen Schulen die "kleinen" Sprachen keine nennenswerte Rolle. Auch an Universitäten erfahren die kleineren Sprachen nicht unbedingt einen Auftrieb. "Symptomatisch: Im europäischen Jahr der Sprachen verlängert die Universität Salzburg das Gastlektorat Bulgarisch nicht mehr. Die seit 20 Jahren bestehende, in Bulgarien populäre und hoch dekorierte Salzburger Bulgaristik ist beendet.", stellt der Salzburger Slawist Otto Kronsteiner resignierend fest.

Die Idee des polyglotten Europäers begegnet vielen Schwierigkeiten. Viele Menschen neigen dazu, ihre Energie auf die am weitesten verbreitete Fremdsprache zu richten, da ohnehin niemand alle europäischen Sprachen lernen kann. Die Broschüre "Europa spricht mit 100 Zungen" von Uwe Joachim Moritz listet 87 europäische Sprachen auf, vom Russischen mit 100 Millionen Sprechern über das Deutsche (83 Millionen) bis zum Ingrischen, Livischen und Votischen, die mit jeweils 10 bis 100 Sprechern nahezu ausgestorben sind.

Gerade das Lernen von Minderheitensprachen wie Katalanisch, Baskisch, Bretonisch oder Sorbisch, die in keinem Staat als Amtssprachen anerkannt sind, ist nicht sehr attraktiv, da diese Sprachen erst recht in den internationalen Organisationen benachteiligt werden. Die Europäische Union benötigt keine Übersetzer für das Bretonische oder Sorbische.

Doch selbst Sprachen, die möglicherweise schon recht bald Amtssprachen der EU werden, stoßen nicht gerade auf lebhaftes Interesse. In der "Erklärung der Tschechischen und Deutschen Friedensgesellschaften für gute Nachbarschaft" aus dem Jahr 1997 heißt es:

Die Fortentwicklung direkter Beziehungen zwischen den Bürgern unserer Länder wird durch eine Sprachbarriere behindert. Aus diesem Grund wäre es sinnvoll, Bedingungen für das Erlernen der tschechischen Sprache an deutschen Schulen zu schaffen, um den Deutschen eine unmittelbare Erkenntnis des Lebens, der Menschen, der Kultur und der Entwicklung der inneren Situation in der Tschechischen Republik zu ermöglichen. So gut dieser Vorschlag auch gemeint ist, es stellt sich doch die Frage, ob nicht auch gute Gründe dafür sprechen, in den Schulen auch Polnisch, Niederländisch, Italienisch usw. zu unterrichten, und man die Schüler damit nicht letztlich überfordern würde. Denn das Erlernen nationaler Sprachen ist mit einem sehr hohen Zeitaufwand verbunden.

Eine Befragung deutscher Studierender, die 1996/97 im Auftrag des Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft Forschung und Technologie durchgeführt wurde, ergab Folgendes:

Im Kapitel 5 wurde gezeigt, dass es schon um die Englischkenntnisse deutscher Studierender nicht zum Besten steht. Über gute Kenntnisse in mehr als einer Fremdsprache verfügen nur etwa 10 % der Studierenden und sie zeigen wenig Neigung, hieran etwas zu ändern: Nur etwa 5 % der Befragten haben großes Interesse an einem Sprachkurs in einer weniger verbreiteten europäischen Sprache. In der Studie heißt es weiter: Der Nachholbedarf hinsichtlich elementarer Kenntnisse in der üblichen Verkehrssprache Englisch macht andererseits deutlich, wie weit man noch vom Idealbild des polyglotten Europabürgers entfernt ist. Dieses Ziel der europäischen Bildungspolitik, das die Beherrschung von "immer mehr Gemeinschaftssprachen" verfolgt, scheint nicht nur in weiter Zukunft zu liegen, sondern auch letztlich unrealistisch zu sein, wenn man allein die Bedeutung des Englischen in der stürmischen Entwicklung des Internets beobachtet. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse deutet jedoch in seiner Ansprache vor dem Deutschen Philologenverband vom 16.03.2001 ein Konzept zur Verwirklichung der Vielsprachigkeit an: Es wäre gut, den schulischen Fremdsprachenunterricht früher zu beginnen - was in den Grundschulen z.T. bereits geschieht - und ihn übrigens auch von jenem Drang zur deutschen Gründlichkeit zu befreien, der unsere Abiturientinnen und Abiturienten derzeit bis zu acht Jahre Englisch lernen lässt - und darüber Zeit für andere Sprachen verliert.

In diesem Punkt hat sich der fremdsprachliche Unterricht in Deutschland weit vom Humboldtschen Bildungskonzept entfernt. Wilhelm von Humboldt hat keineswegs für das langjährige Erlernen einer Sprache plädiert. Er war vielmehr der Ansicht, dass es sinnvoller sei, für kürzere Zeit, ein Jahr oder zwei, eine Fremdsprache, dann für einen ähnlichen Zeitraum eine zweite und idealiter noch weitere zu erlernen. Mit entsprechenden Modellen des Fremdsprachenerwerbs - z.B. nach der Formel 3 plus 3 plus 3 Jahre - könnten viele Grundlagen vermittelt werden, die später - in Studium, Beruf oder Freizeit - aufgegrrriiffen und vertieft werden können.

Problematisch bleibt dieses Konzept dennoch. Denn vermutlich wären nur wenige Schüler bereit, zu Gunsten einer weniger verbreiteten Fremdsprache auf einige Jahre des Englisch-Unterrichts zu verzichten. Denn es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass ein Schüler einmal z.B. die tschechische Sprache beruflich anwenden kann. Viel realistischer ist es, dass er sich später auf eine Stelle bewerben wird, für die ein "verhandlungssicheres Englisch" - das selbst nach achtjährigem Schulunterricht die wenigsten Schüler sprechen - eine unabdingbare Voraussetzung ist.

Wenn jedoch eine europäische Verkehrssprache zur Verfügung steht, die die meisten Schüler schon nach dreijährigem Unterricht gut beherrschen können, ergeben sich neue Perspektiven für die Vielsprachigkeit der Europäer.


2.3 Sonstige Lösungen

"Soll EINE Verkehrssprache in ganz Europa eingeführt werden? Ist eine einzige Verkehrssprache für Europa oder sogar die ganze Welt eine gute Idee? Englisch? Esperanto? Interlingua? Sonstige?" Mit diesen Worten kündigte die Europäische Union im Frühjahr 2001 ein Diskussionsforum auf ihren Internet-Seiten an.

Es ist überraschend, dass hier gefragt wird: "Englisch? Esperanto? Interlingua?", und nicht etwa "Englisch? Französisch? Deutsch?" Erklären lässt sich dies damit, dass die EU zunächst nur ein allgemeines Diskussionsforum zum "Europäischen Jahr der Sprachen" ins Leben gerufen hatte. Vor allem zwei Gruppierungen hatten dieses Forum bereits im Februar 2001 für sich entdeckt: Katalanen, die sich gegen die Diskriminierung ihrer Sprache wandten (die mit rund 10 Millionen Sprechern wesentlich stärker verbreitet ist als Dänisch oder Finnisch) - und Esperanto-Sprecher aus nahezu allen Staaten der EU, die dort auf ihre Idee zum Abbau der Sprachbarrieren aufmerksam machten. Gelegentlich meldeten sich dort auch Menschen zu Wort, die sich für Englisch, für die Vielsprachigkeit oder aber für die Plansprache Interlingua aussprachen.

Für eine bestimmte andere Sprache sprach sich in dem Forum anfangs niemand aus. Doch auch generell läßt sich unter den Sprechern des Deutschen, Französischen sowie der übrigen Amtsprachen der EU eine gewisse Resignation feststellen. Bundesaußenminister Joschka Fischer erklärte in seiner Rede zur "Zukunft der Auswärtigen Kulturpolitik" am 04.07.2000 in Berlin:

Wir sollten, statt in einen fruchtlosen Wettbewerb mit der lingua franca Englisch einzutreten, unsere Ressourcen besser in die Stärkung des Deutschen als zweiter Fremdsprache investieren. Und die Chefin des Kulturinstituts "Alliance Française" in Brüssel erklärte: "Wegen der Macht der englischen Sprache ist es ein sinnloses Unterfangen, die französische Kultur bekannt zu machen."

Erst im Juni 2001 wurde in dem Forum erstmals ein Beitrag zu Gunsten der Deutschen Sprache veröffentlicht:

                    Deutsch passt dazu am besten!

Deutsch als gemeinsame Verkehrssprache in Europa finde ich prima. Deutschland ist das Zentrum Europas. Und die deutsche Sprache entspricht allen Forderungen einer gemeinsamen Verkehrssprache für Europa. - Veronika Gubarevitsch Ein anderer Teilnehmer der Diskussion brachte eine völlig andere Idee ein: Wir könnten eine der kleinen europäischen Nationalsprachen wählen, möglichst die eines noch nicht so gut entwickelten Landes, dem damit auch ein kleiner Anschub gegeben würde. Was halten Sie hier von Albanisch oder auch von Lettisch oder Litauisch, alles sehr klangvolle und interessante Sprachen. Wir könnten eine außereuropäische Sprache wählen. Vielleicht eine Sprache diskriminierter Minderheiten, z. B. die Sprache der Berber oder der Kurden, oder eine der einheimischen Hauptverkehrssprachen Afrikas, nämlich das klangvolle Suaheli, womit Europa gleichzeitig einen kleinen Beitrag zur Wiedergutmachung des Unrechts leisten könnte, welches es dem afrikanischen Kontinent angetan hat. - Was meinen Sie zu diesen durchaus ernst gggeemeinten Vorschlägen? – Gruß! – Wilhelm Auch die lateinische Sprache fand in dem Forum einen Fürsprecher: Meiner Meinung nach ist Latein die ideale Sprache für Europa. Warum? 1) Latein ist die Basis der romanischen Sprachen und hat mit seinem Vokabular alle westlichen Sprachen stark beeinflusst, deswegen kann man sich viele Vokabeln leicht merken. 2) Latein ist sehr präzise, sowohl im Satzbau als auch in der Flexion (z.B.: audias = du sollst hören; audies = du wirst hören). Man sieht, dass ich im Deutschen drei Wörter [...] brauche, um das auszudrücken, was im Lateinischen mit einem Wort möglich ist. 3) Latein ist nicht schwer! Das Wichtigste lernt ein Anfänger in den ersten zwei Jahren! [...] - Vir Doctus Zu Punkt 3 entgegnete ihm ein anderer Teilnehmer des Diskussionsforums (F. Bartsch): "Esperanto ist nicht schwer! Das Wichtigste lernt ein Anfänger in den ersten zwei Wochen."

"Vir Doctus" schlägt vor, auch Latein als lebendige Sprache zu unterrichten. "In den mittelalterlichen Lateinschulen mussten die Schüler auch Latein verstehen und fließend sprechen, also wieso soll das heute nicht genau so gut funktionieren!?"

Der bekannteste Befürworter des Lateinischen ist Otto von Habsburg. In dem bereits mehrfach zitierten Artikel aus der "Zeit" 25/1999 wird über ihn Folgendes berichtet:

Besser haben es die Abgeordneten, die ohne Dolmetscher auskommen. Sieben Sprachen ständig parat zu haben zählt für den 86-jährigen langjährigen Europapolitiker Otto von Habsburg zum Handwerkszeug. Unerträglich ist ihm die Vorstellung, er müsste 14 Stunden am Tag den "Helm" tragen, wie er die Kopfhörer nennt. Spätestens seit er mit einer lateinischen Stegreifrede im Plenum die Dolmetscher aus der Fassung brachte, ist sein Sprachentalent im Europaparlament aktenkundig. Latein hält er für ideal, wenn Präzision verlangt ist. "Treffsicher wie ein Kugelgewehr", sagt er und ergänzt verächtlich: "Englisch streut wie Schrot." Dennoch hat sich Latein nach den Erfahrungen vieler Menschen als zu schwer erwiesen, um die Sprachbarrieren in Europa wirkungsvoll abzubauen.

Aus Ausweg aus dem Sprachenproblem wird gelegentlich auch auf Möglichkeiten des Übersetzungscomputers verwiesen. "IBM beseitigt Sprachbarrieren für globale Kommunikation", heißt es auf einer Werbe-Seite im Internet: "IBM bringt den WebSphere Translation Server auf den Markt, der auf der hoch entwickelten maschinellen Übersetzungstechnologie des Unternehmens basiert. Er hilft Sprachbarrieren beseitigen, damit Kommunikation und E-Commerce weltweit reibungslos funktionieren können."

Übersetzungsbüros betonen hingegen oft, dass die Computerübersetzung keineswegs so reibungslos funktioniert, wie es die Anbieter von Übersetzungsprogrammen glaubhaft machen wollen. Auf einer Internet-Seite mit dem Titel "Computerübersetzungen - eine blecherne Alternative" wird u.a. aufff ein "Fingerspitzengefühl" verwiesen, das ein Computer nicht haben kann:

Sprachliche Botschaften beinhalten weit mehr als reine Worte - sie schliessen eine Vielfalt an Erfahrungen, Gefühlen, Wissen und Konnotationen mit ein, mit ein Grund, warum beinahe jede Übersetzung mehr oder weniger aufwendige thematische Recherchen und Fingerspitzengefühl erfordert. Einfachen Übersetzungsprogrammen, die im Internet kostenlos aufrufbar sind, fehlt jedoch bislang oft mehr als nur ein "Fingerspitzengefühl". Es ist amüsant, einmal die unter http://silentnight.web.za/ veröffentlichten Übersetzungen des Weihnachtslieds "Stille Nacht" per Computer ins Deutsche zurückzuübersetzen. In der ersten Strophe bereitet bereits der französische Titel "Belle nuit, sante nuit" dem Programm T-Sail große Schwierigkeiten:
 
Belle nuit, sante nuit 
Tout s'endort, 
plus de bruit 
Veile seul, le couple sacré 
Doux enfant aux fins checeux 
|: sous ces yeux vigilants :| 
Schöne Nacht schadet Gesundheit 
Alles schläft ein, 
mehr von Lärm 
Alleiner Veile, das heilige Paar 
Süßes Kind an den feinen checeux 
|: unter diesen wachsamen Augen :|

Eine genauere Betrachtung zeigt, dass das Programm vor allem durch drei Tippfehler (sante/sainte, veile/veille und checeux/cheveux) in die Irre geführt wurde. Übersetzen wir hingegen die zweite Strophe mit Altavista aus dem Englischen zurück, so ergibt sich der auffälligste Fehler aus dem fehlenden Allgemeinwissen des Übersetzungsprogramms: Es weiß nicht, dass es vor 2000 Jahren noch keine Computer gab.
 
Silent night, holy night, 
Shepherds quake at the sight. 
Glories stream from heaven afar, 
Heav'nly hosts sing Alleluia; 
|: Christ the Savior is born :| 
Leise Nacht, heilige Nacht, 
Shepherdsbeben am Anblick. 
Ruhmstrom vom Himmel fern, 
Hauptrechner Heav'nly singen Alleluia; 
|: Christ der Savior ist geboren :|

Sicher gibt es inzwischen auch Übersetzungsprogramme, denen so grobe Fehler nicht unterlaufen. Und doch legen diese Beobachtungen nahe, dass auch bei einem ausgereifteren Programm noch viele Ungenauigkeiten und zumindest kleinere Fehler in der Übersetzung zu erwarten sind.

Bereits heute ist die computergestützte Übersetzung aufgrund der enormen Datenmengen, die ein Computer verarbeiten kann, oft eine wertvolle, manchmal bereits unentbehrliche Hilfe, etwa wenn es um Rohübersetzungen von Fachtexten geht. Weniger hilfreich ist sie jedoch bei der Übersetzung belletristischer Werke - und erst recht bei der mündlichen Verständigung von Mensch zu Mensch.


3. Esperanto

3.1 Die Entstehung des Esperanto

Als junger Mensch erlebte Ludwig Lazarus Zamenhof (1859-1917) im russischen Zarenreich die sprachliche Getrenntheit der Bevölkerung. In seiner Heimatstadt Bialystok, die heute unweit der weißrussischen Grenze im Nordosten Polens liegt, lebten Russen, Deutsche, Polen und Juden. Jede dieser Bevölkerungsgruppen sprach ihre eigene Sprache und stand den anderen Gruppen oft feindlich gegenüber.

Gelegentlich kam es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, die Zamenhof tief betroffen machten. Bereits als Kind erschien ihm die Idee, die Völker mit einer gemeinsamen Zweitsprache zu verbinden. Sie sollte möglichst leicht erlernbar sein und niemanden bevorzugen oder benachteiligen.

Zamenhof widmete, wie er später selbst sagte, der Verwirklichung dieser Idee sein ganzes Leben. Er war Sohn eines Sprachlehrers. Russisch bezeichnetet er als seine Muttersprache, doch auch Polnisch und Deutsch beherrschte er bereits als Kind fließend. Auch mit neun weiteren Sprachen (unter denen sich mit dem Hebräischen auch eine außereuropäische Sprache befand) beschäftigte er sich näher.

Schon mit 18 Jahren hatte Zamenhof den ersten Entwurf einer internationalen Sprache fertig gestellt. Im Dezember 1878 feierte er mit einigen Klassenkameraden die Geburt der "Lingwe Uniwersala". Doch er hörte nicht auf, seine Sprache zu bearbeiten. Aus dem Jahre 1881 sind drei verschiedene Entwürfe seiner Sprache bekannt. Zamenhof bemühte sich, unmittelbar in der neuen Sprache zu denken und bemerkte dabei schließlich, dass - wie er selbst notierte - "diese bereits aufhört, ein bloßer Schatten dieser oder jener Sprache zu sein, mit der ich mich in dieser oder jener Minute beschäftigte, und ihre eigene Seele erhält, ihr eigenes Leben, die eigene bestimmte und klar ausgedrückte Physionomie, die bereits nicht mehr von irgendwelchen Einflüssen abhängt. Die Sprache floss bereits von selbst, flexibel, elegant und völlig frei, wie die lebendige Muttersprache." So erhielt im Jahre 1885 die "Lingvo Internacia", wie er sie nun nannte, ihre endgültige Form.

Zamenhof verfasste ein kleines Lehrbuch seiner Sprache. Es erschien schließlich im Sommer 1887 als etwa 40-seitige Broschüre fast gleichzeitig auf Russisch, Polnisch, Deutsch und Französisch, bald darauf auch auf Englisch, Hebräisch und Jiddisch. Das Pseudonym des Autors, "Doktoro Esperanto" ("Hoffender"), wurde bald zum Namen der Sprache selbst.

Die Deutsche Version des ersten Lehrbuchs trug den Titel "Internationale Sprache. Vorrede und vollständiges Lehrbuch". Die Broschüre enthält ein ausführliches Vorwort, in dem Zamenhof erläutert, welchen großen Vorteil eine internationale Sprache für die Wissenschaft, den Handel und die Völkerverständigung hat. Bemerkenswert ist, dass Zamenhof bereits hier betonte, dass seine Sprache "nicht in das innere Leben der Völker eindringen will". Es liegt also nicht an ihm, wenn Esperanto auch heute noch gegen das Vorurteil ankämpfen muss, es wolle die nationalen Sprachen verdrängen.

Zudem finden sich in dem ersten Lehrbuch die 16 grammatikalischen Grundregeln der "Internacia Lingvo" und einige Beispieltexte: das Vaterunser, die ersten Verse des Buches Genesis, die Übersetzung eines Gedichts von Heinrich Heine und zwei original in der neuen Sprache geschriebene Gedichte. Ein zusätzliches Faltblatt enthält eine Liste von 917 Wortstämmen mit einer Erläuterung zu deren Anwendung. Auf der zweiten Seite der Broschüre finden wir eine bemerkenswerte Anmerkung: "Eine internationale Sprache ist wie jede nationale ein Allgemeingut; der Autor verzichtet für immer auf alle persönlichen Rechte an ihr." Zamenhof überließ es also der Allgemeinheit, seine Sprache weiterzuentwickeln. Im folgenden Jahr bat er sogar ausdrücklich darum, ihn nicht "Autor", sondern nur "Initiator" der Sprache zu nennen.

Zamenhof verschickte sein erstes Lehrbuch an zahlreiche Persönlichkeiten, Zeitungsredaktionen und Institutionen in aller Welt. Bald darauf trafen die ersten Antworten ein - mit Fragen, Kritik und Ratschlägen, nicht wenige aber auch mit Lob und Zustimmung. Einige waren bereits in der neuen Sprache selbst geschrieben. Zamenhof entschloss sich, die vielen Fragen und Anregungen an ihn in einem zweiten Buch zu beantworten, dem "Dua libro de l' Lingvo Internacia", das er Anfang 1888 herausgab. Es war ganz in Esperanto geschrieben, und er erklärte dort, dass ihn sein "tiefer Glaube an die Menschheit" nicht enttäuscht habe, denn "von allen Seiten kommen [...] junge und alte Menschen, Männer und Frauen, um ihre Bausteine für ein großes, wichtiges und sehr nützliches Gebäude herbeizutragen". Wenige Monate nach Erscheinen des "Dua libro" konnte Zamenhof ein erstes literarisches Werk in Esperanto herausgeben - die Erzählung "Der Schneesturm" von Puschkin, die nicht etwa Zamenhof selbst, sondern der polnische Chemieingenieur Antoni Grabowski übersetzt hatte.

Im Dezember 1888 trat der Nürnberger Volapük-Verein zum Esperanto über. Damit war die erste Esperanto-Gruppe entstanden. Sie gab ab September 1889 die monatliche Zeitschrift "La esperantisto" heraus. Etwa gleichzeitig erschien ein Adressenverzeichnis mit den Anschriften von 1000 Personen, die bis dahin Esperanto gelernt hatten. "Nach vier Jahren zählt unsere Literatur bereits über 50 verschiedene Werke! [...] Es gibt nun 33 Lehr- und Wörterbücher unserer Sprache", stellte Zamenhof im Januar 1891 fest.

Doch noch hatte Esperanto mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Vor allem um das Jahr 1894 herum drängten einige Esperanto-Sprecher Zamenhof, seine Sprache zu reformieren. Die Diskussionen hierüber nahmen viel Energie in Anspruch, blieben aber letztlich wirklungslos.

Im Februar 1895 druckte die Zeitschrift "La esperantisto" einen Artikel von Lev Tolstoj in Esperanto-Übersetzung ab. Er trug den Titel "Vernunft und Glaube" und veranlasste die Zensur des zaristischen Russlands, ein Einfuhrverbot für die Zeitschrift zu verhängen. "La esperantisto" verlor damit fast drei Viertel der Abonnenten und musste kurz darauf aus finanziellen Gründen sein Erscheinen einstellen.

Doch Esperanto überlebte auch diesen Rückschlag: Ab Dezember 1895 gab die Esperanto-Gruppe Uppsala in Schweden die Zeitschrift "Lingvo Internacia" heraus, die zum Nachfolger von "La esperantisto" avancierte.

Um das Jahr 1900 herum erlebte Esperanto einen bedeutenden Auftrieb. In Frankreich lernten zahlreiche Intellektuelle Esperanto, und ab 1903 gab der Verleger Jean Borel in Berlin Esperanto-Werbeschriften in Auflagen von einigen zehntausend Exemplaren heraus.

Im August 1905 fand schließlich in Boulogne-sur-Mer an der französischen Ärmelkanalküste der erste Esperanto-Weltkongress statt. 688 Esperanto-Sprecher aus 20 Ländern trafen sich dort und waren begeistert, wie gut die Verständigung in der neuen Sprache funktionierte. "Heute sind nicht Franzosen mit Engländern zusammengekommen, nicht Russen mit Polen, sondern Menschen mit Menschen", erklärte Zamenhof in seiner Eröffnungsrede. Und der Wiener Universitätsprofessor Theodor Fuchs beschrieb den Kongress noch euphorischer mit folgenden Worten:

Eine Gnade widerfuhr der Menschheit, das Pfingstwunder hat sich erneuert. Alle fühlten sich als Brüder, vereint unter dem grünen Hoffnungsbanner des Esperanto... Tränen kamen aus den Augen von alten und ernsten Männern, ein katholischer Priester umarmte einen protestantischen, und der Schöpfer der neuen Sprache, Zamenhof, ging wie im Traum herum, zitterte am ganzen Körper und hatte Mühe, seine Ruhe wiederzufinden. So kam es, dass sich zumindest in einem relativ kleinen Kreis die Vision Zamenhofs erfüllte, die er in der fünften Strophe der Esperanto-Hymne "La Espero" wie folgt ausdrückte:
 
Sur neutrala lingva fundamento, 
Komprenante unu la alian, 
La popoloj faros en konsento 
Unu grandan rondon familian. 
Auf Grundlage einer neutralen Sprache, 
Einander verstehend, 
Bildet die Menschheit in Übereinstimmung 
Eine große familiäre Runde.


3.2 Weitere Plansprachenprojekte

Es gab neben Esperanto noch über 1.000 weitere Versuche, eine Sprache bewusst zu konstruieren. Das Spektrum reicht dabei von der Lingua Ignota, einer Geheimsprache der heiligen Hildegard von Bingen (1098-1179) bis hin zum Klingonischen, das der amerikanische Linguist Marc Okrand für die Fernsehserie "Star Trek" ("Raumschiff Enterprise") entwickelte.

Als im 17. Jahrhundert die Nationalsprachen zunehmend das Latein als europäische Gelehrtensprache verdrängten, erlebte die Theorie der Universalsprachen ihre erste Blütezeit. Zahlreiche bedeutende Philosophen, Mathematiker und Pädagogen beschäftigten sich mit der Konstruktion einer Lingua universalis. Sie versprachen sich von ihr zweierlei: Zum einen sollte die neue Sprache, wie Leibniz (1646-1716) es formulierte, "leicht zu lernen sein" und "in bewundernswerter Weise der Verständigung zwischen den Völkern dienen", zum anderen sollte sie der menschlichen Vernunft das Denken erleichtern. Comenius, Descartes, Newton und Leibniz bemühten sich, eine solche Sprache zu konstruieren.

Doch erst dem badischen Pfarrer Johann Martin Schleyer (1831-1912) gelang es, eine Plansprache zu entwickeln, die tatsächlich in der internationalen Verständigung angewandt wurde und eine stärkere Verbreitung fand. Schleyer hatte "in einer schlaflosen Nacht" die "Weltsprache" Volapük entworfen, sie dann innerhalb weniger Monate ausgearbeitet und im Mai 1879 veröffentlicht. Innerhalb weniger Jahre fand Volapük über hunderttausend Anhänger in aller Welt, darunter über 1.000 diplomierte Volapük-Lehrer.

Die ersten Verse der Volapük-Hymne aus der Zeit um 1880 seien hier mit einer freien, zeitgenössischen deutschen Übersetzung wiedergegeben:
 

Volapükahüm fa Zorell F. 

Sumolsöd stäni blodäla! 
Dikodi valik hetobs; 
önöls jüli baladäla 
Volapüke kosyubobs, 
Vokobsöz ko datuval: 
"Menade bal, püki bal!"

Volapükhymne von F. Zorell 

Friede, Brudersinn zu pflegen 
Eintrachtsinn sei uns Panier! 
Jauchzet diesem Werk entgegen! 
"Eine Sprache", ruft mit mir 
gelte auf dem Erdenrund! 
Das erstrebe unser Bund!

Während die deutsche Version die Begeisterung der Volapükisten für ihre Ideale ausdrückt, lässt das Original erkennen, dass Volapük zumindest auf den ersten Blick nicht sehr attraktiv und verständlich wirkt. Dieser erste Eindruck deckt sich auch mit Überzeugung, zu der der Schwede Paul Nylen (1870-1958) nach näherer Beschäftigung mit dem Volapük kam:

Es war im Jahr 1891, glaube ich. Ich war Gymnasiast in Norrköping. Volapük befand sich in seiner Blütezeit; auch ich lernte es, korrespondierte darin mit einigen Fremden, und versuchte mich bis zur Begeisterung für die Grobheiten zu erwärmen, die der Abt Schleyer vorstellt hatte - eine Begeisterung, deren natürliches Ziel die Idee einer internationalen Hilfssprache selbst war, doch deren konkretes Objekt nicht geeignet war, um diese Begeisterung langfristig zu nähren. Im Jahr 1892 lernte Nylen dann Esperanto kennen: "Meine vorherige Begeisterung für Volapük wurde ab diesem Moment erstaunlich gering..."

Nachdem die 1889 auf dem 3. Volapük-Kongress in Paris gegründete Volapük-Akademie einige Reformen gefordert hatte, die Schleyer jedoch ablehnte, begann der Niedergang des Volapük. Die Bewegung verschwand fast ebenso schnell, wie sie entstanden war. Reformversuche wie das "Idiom-Neutral" (1898) fanden keinen starken Zulauf, da nur ein kleinerer Teil der Volapük-Anhänger dem Ideal einer neutralen Hilfssprache treu blieb und sich hier Esperanto als attraktivere Alternative anbot.

Es gab jedoch auch zahlreiche Versuche, Esperanto zu reformieren. Zu einer Spaltung der Esperanto-Bewegung kam es zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nachdem die Franzosen Louis de Beaufront (1855-1935) und Louis Couturat (1868-1914) im Jahr 1905 das Projekt Ido veröffentlichten. Ido war ein Versuch, Esperanto gleichzeitig logischer, einfacher und natürlicher zu machen. Wortstämme slawischen Ursprungs wurden durch romanische ersetzt. Die Mehrzahlendung für Adjektive entfällt; das Akkusativ-n des Esperanto ist im Ido nur dann erforderlich, wenn das Objekt vor dem Subjekt steht. Im Ido enden die Verben im Infinitiv auf "-ar", "-er" und "-ir", während Esperanto hier mit der Endung "-i" auskommt. Die Verwendung von Nachsilben ist im Ido oft zwingend vorgeschrieben; z.B. heißt "Bürste" auf Esperanto einfach "broso", auf Ido hingegen "brosilo", wobei "-il" die Nachsilbe für ein Werkzeug ist. Ferner versucht Ido, alle Mehrdeutigkeiten zu vermeiden; selbst bei der Präposition "vor" wird zwischen "ante" (zeitlich) und "avan" (räumlich) unterschieden.

Im Wortschatz lehnt sich Ido jedoch sehr stark an Esperanto an, so dass z.B. auch die Ido-Hymne für Esperanto-Sprecher unmittelbar verständlich ist:
 

Yen ni venas mikra Idistaro 
kun ideo bel e praktikal 
por montrar ad obstinem homaro 
maxim bona verko mondlingual.
Da kommen wir, kleine Schar der Idisten 
mit einer schönen und praktischen Idee, 
um der starrsinnigen Menschheit 
das beste weltsprachliche Werk zu zeigen.

Dennoch weisen Esperanto-Sprecher gelegentlich darauf hin, dass die Neigung der Idisten, ihre Sprache lediglich als ein "verbessertes Esperanto" darzustellen ("La linguo internaciona Ido - Esperanto plubonigita") irreführend ist, da es sich hier um eine "im Kern und Wesen andere Sprache" handele.

Zu Beginn dieses Jahrhunderts konnte Ido rund 20 % der Funktionsträger der Esperanto-Bewegung, insgesamt jedoch höchstens 3-4 % der Esperanto-Sprecher für sich gewinnen. Schon um 1928 bemerkten Esperanto-Sprecher, dass die Ido-Bewegung so bedeutlungslos wurde, dass sie "die Esperanto-Bewegung nicht mehr störte".

Heute veröffentlicht die "Uniono por la linguo internaciona (Ido)" im Internet eine Liste von rund 50 Ido-Sprechern, von denen 10-20 gleichzeitig in der Esperanto-Bewegung aktiv sind. Auch anlässlich des "Europäischen Jahres der Sprachen 2001" warben Ido-Sprecher auf ihrer Homepage für ihre Idee: "Ad omna populo sua propra linguo e duesma komune por omni. - Jedem Volk seine eigene Sprache und eine zweite gemeinsame für alle."

Weltweit etwas stärker verbreitet als Ido ist Interlingua, das in Deutschland allerdings nur von 2-3 Menschen gesprochen wird. Es wurde von der "International Auxiliary Language Association" (IALA) initiiert, die von 1924 bis 1953 in New York aktiv war, von dem Sprachwissenschaftler Alexander Gode (1900-1970) ausgearbeitet und 1951 veröffentlicht. Interlingua ist ein extrem naturalistisches Projekt, das zu Gunsten der Natürlichkeit der Wörter auf eine stärkere Regelmäßigkeit der Grammatik verzichtet.

Einen Eindruck von der Sprache liefert das folgende Gedicht, das für Interlingua werben soll:
 

Lingua natural e musical 
de parolas international 
e un grammatica minimal. 
Comprensibile facilemente 
per personas intelligente.
Eine natürliche und musikalische Sprache 
aus internationalen Wörtern 
und einer Minimalgrammatik. 
Leicht zu verstehen 
für intelligente Menschen.

Das "Adressario de Interlingua" registrierte 1964 noch 406 Personen aus 33 Ländern. Im "Adressario de Interlingua 2000", das auch im Internet unter www.interlingua.com veröffentlicht wurde, waren es 70 Personen aus 24 Ländern. Die tatsächliche Zahl der Interlingua-Sprecher dürfte aber höher liegen, wie auch in der Einleitung zum "Adressario" betont wird: "Il ha multe personas qui utilisa interlingua e qui, per varie motivos, non se ha inscribite in iste Adressario."

Einige dieser Interlingua-Sprecher beteiligten sich sehr lebhaft an dem Diskussionsforum der Europäischen Union zum "Europäischen Jahr der Sprachen 2001". Gemeinsam mit Esperanto-Sprechern widersprachen Sie der These, dass die Entscheidung über die europäische Verkehrssprache in der Praxis bereits gefallen sei. Doch während die Befürworter von Interlingua erklärten, es komme nicht auf die Sprecherzahl an, wichtig sei vielmehr, dass mehrere hundert Millionen Sprecher romanischer Sprachen Interlingua verstehen können, ohne es speziell zu lernen, betonten Esperanto-Sprecher, dass diese Behauptung zum einen nicht ganz korekt sei und dass zum anderen die aktive Beherrschung von Fremdsprachen ebenso wichtig sei wie die passive. Wegen seiner Regelmäßigkeit sei es leichter, Esperanto aktiv anzuwenden als Interlingua. Zudem sei die Interlingua-Literatur nach nunmehr 50-jähriger Existenz der Sprache der Esperanto-Literatur nach dem Stand von 1937 quantitativ und qualitativ weit unterlegen.

Noch heute wird nahezu in jedem Jahr ein Plansprachenprojekt veröffentlicht. Im Internet findet man umfangreiche Informationen über Lingua Franca Nova (1995) von C. George Borree, USA, Europanto (1996) von Diego Marani, Belgien, Ekspreso (1996) von Jay Bowks, USA, Latina Nova (1999) von Henricus de Stalo, Deutschland, und Ludlange (2000) von Cyril Brosch, ebenfalls aus Deutschland. Einige dieser Autoren haben ihre Sprache nur zum Vergnügen entwickelt. Diejenigen, die jedoch hofften, dass sich ihr Werk bald "durchsetzen" werde, mussten stets bald einsehen, wie schwer es ist, auch nur einen einzigen weiteren Sprecher zu werben.

Nur sehr wenige Plansprachenprojekte haben den Tod ihres Erfinders überlebt. Esperanto wird heute von 1 bis 3 Millionen Menschen in 120 Ländern gesprochen, Interlingua von 500-1.000 in etwa 30 Ländern und Ido von 200-500 Menschen in 15 Ländern.


3.3 Geschichte und Ziele des Esperanto

Für Zamenhof war die Idee einer internationalen Sprache Teil eines umfassenderen Ideals. Ihm schwebte eine Welt vor Augen, in der jegliche Barrieren zwischen den Völkern verschwinden werden - egal, ob diese nun sprachlicher, religiöser, ethnischer oder sozialer Natur sind.

Doch nicht allen Esperanto-Sprechern gefiel es, wenn Zamenhof seine Gedanken hierzu darlegte. Ausgerechnet ein Theologe, der Franzose Louis de Beaufront, wandte sich um die Jahrhundertwende entschieden dagegen, Esperanto mit idealistischen Bestrebungen in Verbindung zu bringen. Er hob stattdessen den praktischen Wert dieser Sprache hervor, er sah in ihr in erster Linie ein zweckmäßiges Verständigungsmittel in internationalen Kontakten, er betonte ihren Nutzen in Handel, Wissenschaft und Tourismus. De Beaufront nahm nicht am ersten Esperanto-Weltkongress teil. Die allzu idealistischen, fast religiösen Züge der frühen Esperanto-Bewegung stießen ihn ab, er betrachtete sie als Gefahr für den Erfolg der Sprache.

Zamenhof war bemüht, einen Kompromiss zu finden zwischen seinen persönlichen, pazifistischen Überzeugungen, die er vor allem mit vielen russischen Esperanto-Pionieren teilte, und der eher sachlichen, realitätsbezogenen Einstellung anderer, vor allem französischer Esperanto-Sprecher. Er entwarf für den ersten Esperanto-Weltkongress eine Erklärung, die nach geringfügigen Änderungen von den Kongressteilnehmern einstimmig angenommen wurde. In dieser "Deklaracio de la Bulonja Kongreso" definiert er den "Esperantismus", d.h. das Wesen oder Ziel der Esperanto-Bewegung, als

Bemühen, in der ganzen Welt die Anwendung einer neutralen menschlichen Sprache zu verbreiten, die, ohne in das innere Leben der Völker einzudringen und ohne die nationalen Sprachen auch nur ein wenig verdrängen zu wollen, den Menschen verschiedener Nationalitäten die Möglichkeit gibt, sich zu verständigen. Sie kann in denjenigen Ländern, wo sich verschiedene Nationalitäten um die Sprache streiten, als friedensstiftende Sprache öffentlicher Einrichtungen dienen; und in ihr können diejenigen Werke veröffentlicht werden, die für alle Völker gleichermaßen interessant sind. Jede andere Idee oder Hoffnung, die dieser oder jener Esperantist mit dem Esperantismus verknüpft, ist seine rein private Angelegenheit, für die der Esperantismus nicht verantwortlich ist. Andererseits sprach Zamenhof auch in den folgenden Jahren immer wieder von einer "inneren Idee des Esperanto", bei der es sich um das Streben nach "Brüderlichkeit und Gerechtigkeit zwischen allen Völkern" handele. Erfahrungen aus seiner Kindheit, aber auch die Pogrome russischer Soldaten in seinem Geburtsort Bialystok im Jahre 1905 festigten in ihm den Willen, zum friedlichen Zusammenleben der Völker beizutragen. In seiner Rede auf dem 2. Esperanto-Weltkongreß im Jahre 1906 in Genf berichtet Zamenhof: Auf den Straßen meines unglückseligen Geburtsorts warfen sich wilde Menschen mit Hacken und Eisenstangen wie grausame Tiere auf ruhige Einwohner, deren einzige Schuld nur darin bestand, daß sie in einer anderen Sprache redeten und eine andere Religion hatten als diese Unmenschen. Darum schlug man Männern und Frauen, gebrechlichen Alten und hilflosen Kindern die Schädel ein und stach ihnen die Augen aus! Ich will Ihnen nicht die schrecklichen Einzelheiten des bestialischen Gemetzels von Bialystok erzählen; Ihnen als Esperantisten möchte ich nur sagen, wie schrecklich hoch und dick noch die Mauern sind, gegen die wir kämpfen. In Hinblick auf diese Erfahrung betonte Zamenhof: "Mit einem Esperanto, das nur dem Handel und praktischen Nutzen dienen soll, möchten wir nichts gemeinsam haben." Ihm kommt es auf Brüderlichkeit und Gerechtigkeit an, auf den Abbau der Feindschaften zwischen den Völkern.

Zamenhof entwarf bereits um das Jahr 1900 herum eine Lehre von der Verbrüderung der Menschheit und gab ihr schließlich den Namen "Homaranismo". In einer Broschüre unter diesem Titel, die er zunächst im Jahre 1906 anonym und dann in einer überarbeiteten Auflage 1913 unter seinem Namen herausgab, brachte er u.a. die folgenden Überzeugungen zum Ausdruck:

Ich sehe in jedem Menschen nur einen Menschen, und ich beurteile jeden Menschen nur nach seinem persönlichen Wert und seinen Taten. Jegliche Beleidigung oder Benachteiligung eines Menschen aus dem Grunde, dass er einem anderen Volk, einer anderen Sprache, einer anderen Religion oder einer anderen sozialen Schicht angehört als ich, betrachte ich als Barbarei.

Ich bin mir bewusst, dass jedes Land nicht diesem oder jenem Volk gehört, sondern vollkommen gleichberechtigt allen seinen Bewohnern, ganz egal welche mögliche Herkunft, Religion oder soziale Position sie haben (...).

Esperanto war für Zamenhof ein Mittel, um die Gleichberechtigung der Völker sicher zu stellen und das friedliche Zusammenleben zu erleichtern. Mit der "Deklaracio de la Bulonja Kongreso" wollte Zamenhof u.a. die Offenheit der Esperanto-Bewegung auch gegenüber diejenigen Menschen zum Ausdruck bringen, die Esperanto lernten, obwohl sie darin "nur eine Sprache" sahen. Er war jedoch überzeugt, dass auch diese Menschen "unbewusst von dem gleichen Ziel träumten" wie er, dies jedoch aus Angst vor denjenigen leugneten, die eine allmähliche Vereinigung der Menschheit ablehnten oder gar als Verbrechen betrachteten.

Tatsächlich war der Gedanke des gleichberechtigten, friedlichen Zusammenlebens der Völker in der Vergangenheit oft ein heikles Thema. Konservative Menschen fürchteten, Esperanto wolle "die Vaterlandsliebe ausrotten". Da Zamenhof ein Jude war, betrachteten nationalsozialistische Politiker Esperanto als eine Gefahr für das deutsche Volk. Adolf Hitler warnte 1925 in "Mein Kampf" vor Esperanto als einem Mittel, mit dem "das Judentum" die anderen Völker "leichter beherrschen könnte".

Anfang 1936 wurde die folgende, von Martin Bormann, dem Stabsleiter des Stellvertreters des Führers, unterzeichnete Anordnung verhängt:

Da die Schaffung einer internationalen Mischsprache den Grundanschauungen des Nationalsozialismus widerspricht und letzten Endes nur im Interesse überstaatlicher Mächte liegen kann, verbietet der Stellvertreter des Führers allen Parteigenossen und Angehörigen der Gliederungen der Partei die Zugehörigkeit zu Kunstsprachenvereinigungen aller Art. Im Jahre 1940 wurde im Reichssicherheitshauptamt ein 11-seitiger Bericht verfasst, der die Position des Nationalsozialismus zum Esperanto umfassend darstellt. Dort wird Esperanto als "Einheitssprache" bezeichnet, "die auf dem Wege gleicher Lektüre für die Menschen aller Völker, Farben und Klimate, gleicher Erziehung, Ideale, Überzeugungen und Bestrebungen allmählich zum allgemeinen Völkerbrei führen sollte."

Weiter heißt es dort:

"Esperanto" lediglich als Hilfssprache für den internationalen Verkehr anzusehen, ist falsch. Die Kunstsprache Esperanto ist ein Teil des Esperantismus, der Waffe der Juden." Seit dem Sommer 1936 war in Deutschland jegliche Betätigung für Esperanto verboten; einige Esperantisten wurden nur wegen ihrer Tätigkeit für Esperanto verhaftet und in ein Konzentrationslager gebracht; andere wurden in erster Linie wegen ihrer jüdischen Herkunft oder ihrers generellen Einsatzes für den Pazifismus ermordet. Zu den Opfern des Nationalsozialismus zählen auch die drei Kinder Zamenhofs, die allesamt bereits im Januar 1940 verhaftet wurden. Zamenhofs einziger Sohn Adam (geb. 1888) wurde bereits unmittelbar darauf erschossen; die Töchter Sofia (geb. 1889) und Lidia (geb. 1904) wurden 1942 aus dem Warschauer Getto nach Treblinka überführt und dort im August bzw. Oktober desselben Jahres ermordet. Der Esperantist und Gründer der Una-Sancta-Bewegung, Max Josef Metzger, wurde 1943 unter dem Vorwand der "Vorbereitung zum Hochverrat" verhaftet und am 17. April 1944 hingerichtet.

Dem sowjetischen Diktator Stalin waren alle Menschen suspekt, die internationale Kontakte hatten, und hierzu gehörten insbesondere die Esperanto-Sprecher. Nach verschiedenen Schät-zungen wurden 1937/38 während der "Großen Säuberung" 2.000 bis 30.000 Esperanto-Sprecher zumeist unter dem Vorwand der Spionage zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Nach dem zweiten Weltkrieg konnten Esperanto-Sprecher zunächst in den westlichen Ländern, allmählich jedoch auch in den Staaten des "Ostblocks" wieder verstärkte Aktivitäten entfalten. In der DDR durfte sich im Jahr 1965 wieder ein Esperanto-Verband gründen, dessen Funktionäre teilweise sehr den pazifistischen Charakter der Esperanto-Bewegung herausstellten (man betrachte etwa die Schlagzeile "Esperanto-Friedenskämpfer trafen sich in Budapest" aus einer Esperanto-Zeitschrift der DDR), teilweise jedoch die idealistische Komponente des Esperanto als "naiv" oder "irreal" darstellen, da Zamenhof (offensichtlich im Gegensatz zu Marx) die wahren "gesellschaftlichen Triebkräfte", die zu Konflikten und Kriegen führen, nicht erkannt habe. Der bedeutendste Esperantist der DDR, Detlev Blanke, schrieb in seinem Buch "Internationale Plansprachen":

Zahlreiche Autoren von Plansprachenprojekten haben ähnliche humanistisch motivierte, aber irreale Gedanken wie Zamenhof zum Hauptmotiv ihrer Arbeit erklärt, die sich in der Formel von Pompiati zusammenfassen lassen: "Wenn die Menschen alle einander verstehen können, wird es keinen Krieg mehr geben." Dass die Formel nicht stimmen kann, beweisen die Konflikte und Kriege zwischen Völkern und gesellschaftlichen Kräften gleicher Sprache zu Genüge. Doch gerade in einigen sozialistischen Ländern wie China, Vietnam und Kuba spielt der pazifistische Hintergrund des Esperanto in der Werbung für diese Sprache auch heute noch eine entscheidende Rolle. In Europa sind sich die meisten Esperanto-Sprecher heute bewusst, dass das Thema "Esperanto und Frieden" einer differenzierteren Betrachtung bedarf - und dass die Idee, mit Esperanto einen Beitrag zum Frieden zu leisten, dennoch weiterhin aktuell ist. Sie kehren damit in gewisser Hinsicht zu den Gedanken Zamenhofs zurück, der sich einerseits bewusst war, dass Esperanto "aus den Menschen keine Engel macht", während er andererseits auch immer wieder betonte, dass Esperanto dennoch zumindest denjenigen Menschen, die dies wünschen, den Weg zur Verständigung, Brüderlichkeit und Gerechtigkeit zwischen den Völkern ebnen kann.

Viel diskutiert wird heute in der Esperanto-Bewegung die - ebenfalls bereits sehr alte - Frage, ob Esperanto noch eine Chance hat, sich als internationales Verständigungsmittel durchzusetzen. Im Sommer 1980 trafen sich auf dem 36. Esperanto-Weltjugendkongress in der finnischen Stadt Rauma rund 330 junge Esperanto-Sprecher aus über 20 Ländern, um sich mit dem Kongressthema "Esperanto in den 80er Jahren - Ziele und Methoden" zu befassen. Einige Teilnehmer veröffentlichten dort eine Erklärung, nach der sie sich vom traditionellen Ziel des Esperanto, es solle zweite Sprache für alle Menschen werden, distanzierten. Sie begannen, Unterschriften für ihr "Manifesto de Rauma" zu sammeln, und brachten auf diese Weise eine lebhafte Diskussion in Gang. Bis zum Ende des Jahres 1980 hatten rund 80 Esperanto-Sprecher die Erklärung unterschrieben.

In dem Manifest wird gesagt, es sei "weder wahrscheinlich noch wesentlich, dass sich Esperanto in den 80er Jahren durchsetzen werde". Es solle auch nicht Aufgabe oder Ziel der Esperanto-Sprecher sein, die englische Sprache zu Fall zu bringen. Sinnvoller sei es, Esperanto zu verbreiten, um nach und nach "positive Werte" zu verwirklichen, vor allem die Erleichterung des Lernens anderer Fremdsprachen durch Esperanto, die Förderung gleichberechtigter Kontakte zwischen gewöhnlichen Menschen sowie die Schaffung einer neuartigen internationalen Kultur. Die Esperanto-Sprecher sollten sich "einer selbst gewählten sprachlichen Diaspora" zugehörig fühlen.

Das "Manifest von Rauma" hat seit seiner Veröffentlichung von Seiten der Esperanto-Sprecher mehr Kritik als Zustimmung erfahren. Im Sommer 1992 führte der Deutsche Esperanto-Bund unter seinen Mitgliedern eine Umfrage durch, in der es auch um die Ziele der Sprache ging. In der Verbandszeitschrift "Esperanto aktuell" erschien u.a. die folgende Frage:

        Was sollte Ihrer Meinung nach heute eher Zweck und Ziel des Esperanto sein?

        (1) einheitliche Zweitsprache für die ganze Welt
        (2) gelebte Kultur einer Minderheit ohne das Ziel einer weiteren Verbreitung
        (3) Teil eines umfassenderen Ideals
        (4) sonstiges

290 Einsender beantworteten diese Frage, wobei - wenngleich eigentlich keine Mehrfachnennungen vorgesehen waren - die vier möglichen Anworten insgesamt 340-mal genannt wurden. Mit 82,4 % wurde Antwort (1) überraschend häufig genannt; es folgten mit 22,1 % Anwort (3) und mit 6,6 % Antwort (2). 6,2 % der Einsender hatten die Variante "sonstiges" angekreuzt. Selbst unter den jugendlichen (d.h. bis 26 Jahre alten) Einsendern erhielt die Anwort (1) immerhin noch 67,6 % der Nennungen. Die Variante "einheitliche Zweitsprache" verlor damit zwar deutlich an Zustimmung, jedoch weniger an die Variante "gelebte Kultur einer Minderheit" (10,8 %) als an die Position "Teil eines umfassenderen Ideals" (29,7 %).

In seiner Auswertung der Umfrage spricht Frank Stocker von einem "Schattendasein" der "raumistischen Position". Wenngleich Befürworter dieser Position kritisierten, dass Stocker in der Umfrage den Standpunkt aus dem "Manifest von Rauma" durch den Zusatz "ohne das Ziel einer weiteren Verbreitung" falsch dargestellt habe, so zeigen die Antworten auf die Umfrage dennoch, dass das traditionelle Ziel des Esperanto, das vereinfachend oft kurz "Zweitsprache für alle" genannt wird, für die Mehrheit der Esperanto-Sprecher auch heute noch aktuell ist.

Auf dem Esperanto-Weltkongress 1996 in Prag haben zahlreiche Teilnehmer ein Manifest unterschrieben, in dem die folgenden Ziele des Esperanto vorgestellt und erläutert wurden: demokratische Kommunikation, transnationale Erziehung, erfolgreicher Sprachunterricht, Chance auf Mehrsprachigkeit, sprachliche Rechte (d.h. Gleichberechtigung), Sprachenvielfalt und Emanzipation der Menschheit. Bis zum Herbst 1997 unterzeichneten mehr als 10.000 Menschen dieses Manifest, bei dem es sich im Wesentlichen um eine moderne Darstellung der traditionellen Ziele des Esperanto handelt.

Auf die Frage, welchen Sinn es macht, Esperanto zu lernen, antworten Esperanto-Sprecher heute oft, dass sich dies bereits wegen des praktischen Wertes dieser Sprache lohne. Allein in Anbetracht der unzähligen grenzüberschreitenden Freundschaften, die durch Esperanto entstanden sind, kann dieses Urteil als glaubwürdig erscheinen - besonders, wenn man auch den im Vergleich zu anderen Sprachen relativ geringen Lernaufwand berücksichtigt.

Als im September 2001 ein Amerikaner in dem Diskussionforum soc.culture.esperanto fragte "Why is Esperanto attempting to override English as the international language?", bekam er überwiegend zu hören, dass es nicht Ziel des Esperanto sei, Englisch als Weltsprache abzulösen. Charakteristisch für die Reaktionen der Teilnehmer dieses Forums war die folgende Antwort von Angelos Tsirimokos aus Brüssel: "Esperanto is NOT attempting to override English as the international language [...] The ultimate aim of Esperanto was - and still is - to provide the world with a simple, logical, easy-to-learn yet expressive language in which people with different language backgrounds could communicate ON AN EQUAL FOOTING."

Es gibt in der Esperanto-Bewegung viele Bezeichnungen für bestimmte grundlegende Positionen in Bezug auf die Ziele des Esperanto - und unzählige einzelne Meinungen zum Thema "Esperanto und Englisch", die sich kaum klassifizieren lassen. Die wichtigste Feststellung ist jedoch, dass die Esperanto-Bewegung in der Praxis schon seit ihren Anfängen offen ist für alle Menschen, die - aus welchem Grund auch immer - die Idee gut finden, Esperanto in internationalen Kontakten zu benutzen, oder einfach nur Spaß daran haben, dies zu tun.


3.4 Die Anwendung des Esperanto

Bereits im Vorwort zum ersten Esperanto-Lehrbuch aus dem Jahr 1887 betonte Ludwig Zamenhof, dass er die Internationale Sprache nicht nur als eine Idee betrachtet, die in der ganzen Welt eingeführt werden solle. Es war ihm vielmehr auch wichtig, "dass jeder, der diese Sprache gelernt hat, sie sofort in der Verständigung mit Menschen verschiedener Nationalitäten benutzen kann, ganz egal, ob diese Sprache von der Welt angenommen wird und ob sie viele Anhänger findet oder nicht."

Esperanto erfüllte diese Forderung. Es wurde zu einer lebendigen Sprache, die seit ihrer Veröffentlichung bereits mehreren Millionen Menschen internationale Kontakte verschafft hat.

Heute finden in jedem Jahr einige Hundert internationale Esperanto-Treffen statt. Etwa 300 dieser Treffen werden alljährlich in einem Kalender unter www.eventoj.hu angekündigt. Die größte Veranstaltung ist stets der Esperanto-Weltkongress, dessen Teilnehmerzahl sich meist zwischen 2.000 und 3.000 bewegt; beim bislang größten Esperanto-Weltkongress anläßlich des 100-jährigen Jubiläums der Sprache 1987 in Warschau waren es rund 6.000 Teilnehmer aus 61 Ländern.

Daneben gibt es alljährlich einen Esperanto-Weltjugendkongress mit meist etwa 400 Teilnehmern, Kongresse von Fachverbänden (z.B der christlichen Esperanto-Sprecher, der Eisenbahner-Esperantisten, der Esperanto-Lehrer usw.), internationale Familientreffen usw. Die bedeutendsten alljährlichen Esperanto-Veranstaltungen in Deutschland sind die "Internationale Woche" der Deutschen Esperanto-Jugend, die jeweils über Silvester vom 27. Dezember bis 3. Januar rund 300 junge Leute aus über 30 Ländern anzieht, das gleichzeitge "Internacia Festivalo" für Esperanto-Sprecher mittleren Alters, die internationale Frühlingswoche ("Printempa Semajno Internacia") für Familien über Ostern sowie der meist über Pfingsten stattfindende Deutsche Esperanto-Kongress.

Unter den regelmäßigen Internationalen Esperanto-Jugendtreffen verdienen das "Internationale Jugendfestival" der Italienischen Esperanto-Jugend (stets über Ostern) sowie das Sommertreffen "Internacia Junulara Semajno" in Ungarn besondere Erwähnung.

Auch in einigen außereuropäischen Ländern finden häufiger internationale Esperanto-veranstaltungen statt, z.B. in Nord- und Südamerika, China, Japan, Korea, Vietnam und Australien - und von Zeit zu Zeit auch in afrikanischen Ländern wie Benin, Togo, Tansania oder Madagaskar.

Zum Programm internationaler Esperanto-Treffen gehören meist Vorträge, Diskussionen, Sprachkurse, Ausflüge, Spiele, Tänze, Musikkonzerte, Theaterstücke usw. Den bedeutendsten Eindruck hinterlassen jedoch meist die vielen persönlichen Kontakte mit Menschen aus anderen Ländern. Esperanto-Sprecher gehen meist mit einem Vorschuss an Sympathie aufeinander zu, in dem Bewusstsein, dass der Andere ebenfalls den Gedanken befürwortet, mit einer neutralen, leicht erlernbaren Sprache die Verständigung zwischen den Völkern zu verbessern.

In der Zeitschrift "kune" der Deutschen Esperanto-Jugend berichtet ein Teilnehmer über die "Internationale Woche" 1999/2000:

Die letzte Nacht wurde für mich persönlich abgerundet durch ein spontanes Konzert in der lauschigen Atmosphäre des Gufujos (der Teestube), bei dem verschiedene Esperanto-Musiker zu Gitarre und Akkordeon sangen. Es war unheimlich besinnlich und letzten Endes das, was vielleicht den Geist der Esperantotreffen allgemein ausmacht: ein harmonisches Beisammensein von Leuten aus aller Welt. Auf Esperanto-Treffen entstehen unzählige tiefere Freundschaften über Grenzen hinweg; auch mehrere Tausend internationale Ehen sind auf diese Weise entstanden.

Esperanto-Sprecher wenden ihre Sprache auch sehr häufig auf individuellen Reisen in andere Länder an. Bereits 1922 reiste der Philosoph Rudolf Carnap (1891-1970) zusammen mit einem bulgarischen Studenten "durch Finnland und die neuen baltischen Republiken Estland, Lettland und Litauen". In dem Buch "Mein Weg in die Philosophie" erinnert er sich:

Wir wohnten bei gastfreundlichen Esperantisten und kamen mit vielen Leuten in Kontakt. Wir unterhielten uns über alle möglichen Probleme des öffentlichen und persönlichen Lebens, immer, selbstverständlich, in Esperanto. Auf ihren Reisen besuchen Esperanto-Sprecher teils Menschen, die sie von Briefkontakten oder internationalen Treffen her kennen, teils aber auch ihnen zuvor unbekannte Gastgeber. Im letzteren Fall wird heute oft das Adressbuch "Pasporta Servo" benutzt, das erstmals im Jahr 1974 erschien. Die Ausgabe 2001 enthält 1.161 Adressen von Familien und Einzelpersonen aus 80 Ländern, die gern Esperanto-sprechende Gäste aufnehmen und sie kostenlos bei sich übernachten lassen. Vor allem - aber nicht nur - junge Leute nutzen gern diese preisgünstige Möglichkeit, Leben und Alltag in fremden Ländern aus nächster Nähe kennenzulernen. Die gemeinsame Sprache Esperanto dient dabei nicht nur als Verständigungsmittel, sondern schafft zugleich auch ein Gefühl der Verbundenheit. Selbst in Ländern wie England, den USA oder Australien erweist sich Esperanto als eine nützliche Sprache. Wer Englisch und Esperanto beherrscht, findet leichter freundschaftliche, tiefe Kontakte als jemand, der mit Englisch allein auskommen möchte.

Während gewöhnliche Touristen oft in andere Länder wie Italien, Russland oder China reisen, ohne auch nur ein einziges längeres Gespräch mit einem Bewohner des jeweiligen Landes zu führen, sind für Esperanto-Sprecher intensive persönliche Kontakte meist selbstverständlich. Zahlreiche stets sehr positive Erfahrungsberichte über Reisen mit Esperanto sind in Esperanto-Zeitschriften oder in Buchform erschienen.

Die Anzahl der in Esperanto erschienenen Bücher und Broschüren wird meist auf ca. 40.000 geschätzt. In der Hofburg in Wien befindet sich das Internationale Esperanto-Museum. Es ist der Österreichischen Nationalbibliothek angegliedert und besitzt rund 21.000 Bücher; die bibliographischen Angaben zu über 15.000 Werken sind bereits per Internet abrufbar. Die Deutsche Esperanto-Biblitohek in Aalen verfügt über 25.000 Werke. Mehr als 4.000 lieferbare Bücher und Broschüren bietet der Esperanto-Weltbund UEA in seinem "Esperanto-Katalogo 2001" an.

Etwa ein Drittel der in Esperanto erschienenen Bücher wurde original in dieser Sprache verfasst. Bei den übrigen Werken handelt es sich um Übersetzungen aus mehr als hundert Sprachen, von der Bibel (die bereits 1926 in einer Esperanto-Übersetzung erschien) bis hin zu Comics, unter denen Asterix (5 Bände) sowie Tim und Struppi (2 Bände) die beliebtesten sind. Auch aus dem Deutschen wurden viele bedeutende und beliebte Werke in Esperanto übersetzt, etwa Goethes Faust ("Fauxsto"), die Blechtrommel ("La lada tambureto") von Günter Grass sowie die Unendliche Geschichte ("La sencxesa rakonto") von Michael Ende.

Regelmäßig erscheinen 100 bis 300 Zeitschriften in Esperanto, je nachdem, ob man hier auch recht bescheidene Mitteilungsblätter mitzählt. Bei der Mehrzahl handelt es sich um Mitgliedszeitschriften von Esperanto-Verbänden; einige Zeitschriften wie die Jugendzeitschrift "Kontakto" sowie das internationale Nachrichtenmagazin "Monato" berichten jedoch nahezu ausschließlich über Themen außerhalb der Esperanto-Bewegung.

Die kulturellen Aktivitäten der Esperanto-Sprecher beschränken sich nicht auf die schriftstellerische Tätigkeit. Zahlreiche Sänger und Musikgruppen singen auf Esperanto, wobei vom Volkslied über Liedermacher bis hin zu Rock, Hiphop und Techno alle denkbaren Richtungen vertreten sind. Am beliebtesten sind Gruppen, deren Mitglieder selbst Esperanto beherrschen, die von dieser Sprache begeistert sind und in ihren Konzerten auf Esperanto-Treffen auch die passenden Worte finden, um die Stimmung anzuheizen. Die legendäre Gruppe Amplifiki, die 1983 errang ihre Popularität u. a. mit Liedern wie "Sola" ("Allein") oder "IS" (über die Internationale Woche der Deutschen Esperanto-Jugend), die die Emfindungen junger Menschen auf Esperanto-Treffen selbst zum Thema haben.

Darüber hinaus gibt es viele Theatergruppen, die von Zeit zu Zeit auf Esperanto-Veranstaltungen ein übersetztes oder evtl. auch original in Esperanto verfasstes Stück präsentieren. Bereits im Jahr 1908, auf dem 4. Esperanto-Weltkongress in Dresden, war der Philosoph Rudolf Carnap von einem Theaterstück auf Esperanto sehr beeindruckt:

Ein Höhepunkt des Kongresses war eine Aufführung von Goethes Iphigenie in Esperanto. Mir war es eine bewegende und erhebende Erfahrung, dieses Drama, durchdrungen vom Geist der Menschlichkeit, in einem neuen Medium ausgedrückt zu hören, das es tausenden Zuschauern aus vielen Ländern verständlich machte, so dass sie sich geistig zusammengehörig fühlen konnten. Auch im Radio gibt es Sendungen in Esperanto. In Deutschland kann man auf Mittel- und Kurzwelle täglich Sendungen aus Polen und China sowie ein- bis dreimal wöchentlich Sendungen aus Italien, Kuba, Litauen, Österreich und dem Vatikan empfangen. Auf Esperanto wird dort über Themen wie Politik und Kultur, gelegentlich auch über Ereignisse aus der Esperanto-Welt berichtet. Einige dieser Sendungen sind auch per Satellit oder aber per Internet zu empfangen.

Schon sehr früh haben Esperanto-Sprecher auch das Internet als ideales Medium für ihre internationalen Kontakte entdeckt. Auf Seiten wie www.esperanto.net (in über 40 Sprachen) oder www.esperanto.de (in Deutsch) findet man Informationen über Esperanto sowie Sprachkurse, Wörterbücher, Bücherkataloge (jeweils online) und Veranstaltungskalender. Auch einige Esperanto-Zeitschriften sowie mehrere Hundert Bücher wie etwa die Bibel oder den Kleinen Prinzen kann man sich - ausgehend von einer der oben genannten Seiten - im html- oder pdf-Format durchlesen.

Kontakte zu anderen Esperanto-Sprechern findet man sehr leicht über ein "Esperanto-Adresaro" mit mehr als 3.000 E-Mail-Adressen aus etwa 90 Ländern, einen Online-Brieffreundschaftsdienst sowie Diskussionsforen wie etwa "soc.culture.esperanto". Zu zahlreichen Themen wie Musik, Christentum, Homosexualität, Menschenrechte, Esperanto-Unterricht, Esperanto-Muttersprachler oder Esperanto in Kolumbien existieren spezielle E-Mail-Verteilerlisten; auch eine Liste von über 150 dieser Verteilerlisten ist im Internet zu finden.

Es gibt zahlreiche Fachverbände, die Esperanto in ihrem Bereich anwenden. Beachtliche Erfolge haben christliche Esperanto-Sprecher zu verzeichnen. Im November 1990 approbierte der Vatikan die Messtexte in Esperanto, wodurch Esperanto als liturgische Sprache anerkannt wurde. Seit 1994 spricht Papst Johannes Paul II. seine Weihnachts- und Ostergrüße stets auch auf Esperanto. Im Sommer 2001 erschien ein 1.472 Seiten starkes ökumenisches Gesangbuch mit dem Titel "ADORU" ("Betet an") in Esperanto; ein ähnlich umfangreiches, internationales und ökumenisches Werk in einer nationalen Sprache ist hingegen bislang nicht erhältlich.

Auch im Bereich der Wirtschaft und des Handels wird Esperanto gelegentlich mit beachtlichem Erfolg angewandt. Der chinesische Kaufmann WANG Tianyi aus Xi'an kann mit den Einkünften aus dem Handel mit anderen Ländern, bei dem er überwiegend Esperanto verwendet, seine Familie und zehn Angestellte ernähren.

Die "Akademio Internacia de la Sciencoj" mit Sitz in San Marino veranstaltet regelmäßig wissenschaftliche Tagungen, bei denen Esperanto die wichtigste Arbeitssprache ist.

Es ist möglich, dass Esperanto aufgrund seiner Klarheit einmal in der computergestützten Übersetzung eine bedeutende Rolle spielen wird. Schon heute findet sich auf den Internet-Seiten zu Langenscheidts Vokabeltrainer unter www.vokabeln.de der Hinweis, dass die Wortlisten zu den mehr als 50 Sprachen, für die der Vokabeltrainer bereits eingesetzt werden kann, mehrheitlich unter Verwendung von Esperanto als Brückensprache erstellt wurden.


Anmerkungen

Die zu den Fußnoten gehörenden Ziffern sind sowohl im Text als auch hier beim Abspeichern im htm-Format verloren gegangen; sie werden später ergänzt.

Kapitel 1

Daniela Weingärtner, Capito? Verstanden? Compris?, Die Zeit 25/1999

So erklärte auch Reinhard Selten, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften des Jahres 1994: "Esperanto ist Teil meiner Identität" (Esperanto aktuell 1/1995, S. 1)

http://www.lsvd.de/recht/charta.html

Franz Stark, Zur internationalen Stellung von Deutsch und zur Sprachenpolitik der Bundesrepublik Deutschland in der EU, http://web.br-online.de/bildung/deutsch2000/08_sprachenpolitik.htm

Ingo Friedrich: Babylonische Sprachverwirrung, Die Welt, 15.03.2001

http://europa.eu.int/comm/igc2000/dialogue/events/meetings/transcriptchatbarnier5-6_en.pdf

http://www.europa.eu.int/comm/research/youngscientists/index2.htm

Selbst als die EU Anfang der 90er Jahre Vertretungen in den ost-mitteleuropäischen Staaten eröffnete, "wurde - ohne Rücksicht auf die im jeweiligen Land tatsächlich vorhandenen Fremdsprachenkenntnisse (z.B die kaum vorhandenen Französischkenntnisse) nur die Beherrschung des Englischen und/oder des Französischen, aber nicht des Deutschen gefordert". (Franz Stark, Zur internationalen Stellung von Deutsch und zur Sprachenpolitik der Bundesrepublik Deutschland in der EU, http://web.br-online.de/bildung/deutsch2000/08_sprachenpolitik.htm)

Deutsch, Englisch und Französisch

http://europa.eu.int/comm/internal_market/de/indprop/2k-714.htm

"Die Kosten der Mehrsprachigkeit - Globalisierung und sprachliche Vielfalt", Tagung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 7.-9. Juni 2001, http://www.sprachen-2001.at/kosten.htm

Michael Scherm, Stellungnahme zu einem politisch-pädagogischen Aspekt des Fremdsprachenunterrichts in den Schulen, Esperanto kaj instruado 1/2001, S. 15

Mark Fettes, Europe's Babylon: Towards a single european language? http://infoweb.magi.com/~mfettes/eurlan.html; s. auch Esperanto 5/89, S. 98

Daniela Weingärtner, Capito? Verstanden? Compris?, Die Zeit 25/1999

In Warschau daheim, Taizé 2000, S. 7

Martin Ebner, Keine Sprache für den Himmel, Südkurier, 12.11.1999

Kapitel 2

http://www.uebersetzungsservice-fritsch.de/

Konrad Lischka, Barbies Fleisch, Süddeutsche Zeitung, 31.03.2001, http://szonnet.diz-muenchen.de/REGIS_A12086160

Christopher Rollason, http://www.europarl.eu.int/language/apprendreen_en.htm

Gert Raeithel, Wir wollen viel Wow, Der Spiegel, 30.10.2000, http://www.spiegel.de/spiegel/21jh/0,1518,100378,00.html

ebd.

zit. nach Margarete Payer, Internationale Kommunikationskulturen, http://www.payer.de/kommkulturen/kultur031.htm

Chinua Achebe, Morning Yet an Creation Day, 1964 (zit. nach Margarete Payer, s.o.)

Konrad Lischka, Barbies Fleisch, Süddeutsche Zeitung, 31.03.2001, http://szonnet.diz-muenchen.de/REGIS_A12086160

s. die Ankündigung des internationalen Kongresses "Sprachen und Kulturen – Wege zur

europäischen Identität" am 15./16.03.2001 in Berlin, http://193.158.125.177/DBBInteraktiv/Artikel/dphv/080301_144424.htm

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2001/C 113 E/263, 18.04.2001

http://www.lernzeit.de/aktuelles/meldung211200.phtml

http://www.learn-line.nrw.de/angebote/2001ejs/info/db_suche.html

http://www.univie.ac.at/dieuniversitaet/2001/bildung/10000284.htm

Otto Kronsteiner, Ist Bulgarisch ein Orchideenfach?, Die Presse, 23.03.2001

FriedensForum 6/1997

http://www.his.de/abt3/proj/684/

ebd.

Sprachenvielfalt als politische Herausforderung, Pressemitteilung des Deutschen Bundestages vom 16.03.2001, http://berlinews.de/archiv/1796.shtml

http://www.eurolang2001.org/eyl/forum/forum.asp?LANG=DE

zu Interlingua siehe Kapitel 3.1

Dafydd ap Fergus, Tutmondigxo: Labori angle, Esperanto 11/2000, S. 188

Daniela Weingärtner, Capito? Verstanden? Compris?, Die Zeit 25/1999

http://www-5.ibm.com/ch/news/archiv01/10-01-01-1.htm

http://www.adhoc.at/uebersetz.htm

Es handelt sich (Stand: Juli 2001) um 150 Übersetzungen in 101 Sprachen.

http://www.t-mail.com/cgi-bin/tsail

http://babelfish.altavista.com/tr

Kapitel 3

L. L. Zamenhof, Originala Verkaro, Hrsg. Johannes Dietterle, Leipzig 1929, S. 417

Aldolf Holzhaus, Doktoro kaj Lingvo Esperanto, Helsinki 1969; Enciklopedio de Esperanto, Budapest 1933, S. 580

Originala Verkaro, S. 421

L. L. Zamenhof, Dua libro de l' lingvo Internacia, Warschau 1888, zit. nach Originala verkaro, S. 26

Originala Verkaro, S. 145-146

Marei Drassdo-Walcher, Die Kunstsprache als Hoffnungsbanner, Stuttgarter Nachrichten, 07.03.1987

Georg F. Strasser, Lingua Universalis, Wiesbaden 1988; Umberto Eco, Die Suche nach der vollkommenen Sprache, München 1994

Isai Dratwer, Pri internacia lingvo dum jarcentoj, Tel-Aviv 21977, S. 9

Ernest Drezen, Zamenhof, in Detlev Blanke (Red.), Socipolitikaj aspektoj de la Esperanto-movado, Budapest 21986, S. 146

Enciklopedio de Esperanto, S. 563. Die Zahl der Volapük-Anhänger zur Zeit der stärksten Verbreitung wird auf bis zu 2,5 Millionen geschätzt, was jedoch stark übertrieben sein dürfte; vgl. Detlev Blanke, Internationale Plansprachen, Berlin 1985, S. 212.

Arpad Radkai, La internacilingva movado kiel kreinto de la Internacia Lingvo, in Detlev Blanke (Red.), Socipolitikaj aspektoj de la Esperanto-movado, Budapest 21986, S. 179

ebd., S. 173

Enciklopedio de Esperanto, S. 563, Detlev Blanke, Internationale Plansprachen, S. 211

ebd., S. 235

ebd., S. 181

http://members.aol.com/idolinguo/

Enciklopedio de Esperanto, S. 238

Arpad Radkai, La internacilingva movado kiel kreinto de la Internacia Lingvo, S. 175

http://idolinguo.de/

http://interlingua.com/latino.htm

Detlev Blanke, Internationale Plansprachen, S. 182

http://henricus.purespace.de/linguistik-46.htm

Edmond Privat, Vivo de Zamenhof (1920), East Perth 51977, S. 80

Originala Verkaro, S. 237

ebd., S. 372, 378

ebd., S. 370

edb., S. 372

ebd., S. 316-317, 340

ebd., S. 372

Der Reichswart, 3.7.1926; zit. nach Die gefährliche Sprache, S. 92

Die gefährliche Sprache, S. 92

ebd., S. 110

ebd., S. 114-115, 117

Ein Beispiel findet sich in Die gefährliche Sprache, S. 116-117, detaillierter in der Esperanto-Version des Buches, La dangxera lingvo, Gerlingen 1988, S. 131

Die gefährliche Sprache, S. 118; Henk Thien, La vivo de d-ro L. L. Zamenhof en bildoj, 1984, S. 110-119

Walter Mudrak, Max Josef Metzger. Martiro por paco kaj unueco en Kristo, pioniro de ekumenismo, kaj esperantisto, Meßkirch 1987.

La dangxera lingvo, S. 394; s. auch Die gefährliche Sprache, S. 220-223

Esperantistaj pacbatalantoj renkontigxis en Budapesxto, Saksa Kuriero 4/1988, S. 1

K. Pompiati, Die neue Weltsprache Nov Latin Logui, Wien 1918

Detlev Blanke, Internationale Plansprachen, Berlin 1985, S. 70; vgl. auch Die gefährliche Sprache, S. 270

In diesem Geist hat auch die Kroatische Schriftstellerin Spomenka Stimec ihr "Kroatisches Kriegsnachtbuch" geschrieben, das 1993 im Original auf Esperanto erschien und bald darauf auch in japanischer und deutscher Übersetzung (Paderborn 1994) herausgegeben wurde.

Originala Verkaro, S. 336

ebd.

http://www.rano.org/foirismo.html

Frank Stocker, Wer spricht Esperanto, Unterschleißheim 1996, S. 55-64

ebd., S. 64

Als weiteres Zeichen hierfür kann auch die Begeisterung gewertet werden, die der Vortrag "Warum ich an Esperanto glaube" des Schweizer Psychologen Claude Piron bei über 100 jungen Zuhörern auf dem Esperanto-Weltjugendkongress 2001 in Straßburg hervorrief. Piron äußerte sich dort überzeugt, dass Esperanto in Anbetracht von Problemen wie sprachlicher Ungleichheit, Bedrohung von Kulturen, Unannehmlichkeiten und Leiden aufgrund von Sprachbarrieren durchaus noch eine bedeutende Rolle in der Welt spielen kann und sollte.

http://www.esperanto.de/deb/manifest.html

Esperanto 12/1997, S. 207

z.B. pracelismo, finvenkismo, defetismo, rauxmismo, vosismo; die beiden letzteren Begriffe beziehen sich auf die Erklärungen von Rauma (1980) bzw. Voss (1991), siehe http://www.rano.org/esperanto.html

Originala Verkaro, S. 20

Links zu diesem und weiteren Veranstaltungskalendern finden sich auch unter www.esperanto.de.

Gunnar Fischer, 43a Internacia Seminario, kune 1/2000, S. 30

Rudolf Carnap, Mein Weg in die Philosophie, Stuttgart 1993, S. 108

siehe z. B. das Buch von Maryvonne kaj Bruno Robineau, Ili vivis sur la tero, Nantes 1998, über die 8-jährige Weltreise einer französischen Familie; ferner sei auf die zahlreiche Berichte in der Zeitschrift "Esperanto aktuell" verwiesen.

Rudolf Carnap, Mein Weg in die Philosophie, Stuttgart 1993, S. 108

http://www.vokabeln.de/autovoc.htm